Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fussball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
Am Nachmittag saßen wir zusammen und guckten Deutschland – USA. Neben mir ein dicker Amerikaner – ein sehr netter Typ. Wir unterhielten uns in kommentierenden Sätzen, und nach dem Spiel fragte er tatsächlich: »Darf ich ein Selfie von uns machen?« – »Klar.«
Das Lokal war kubanisch inspiriert sozusagen, mit Bildern von Fidel, einer kubanischen Fahne und so weiter. Im Raum hing eine Leine mit Deutschland- und Bitburgerfähnchen. U. hatte das überhaupt nicht gemerkt. So gehirngewaschen sind die Leute schon, dass ihnen, wenn irgendwo nur Deutschlandfähnchen hängen, gar nicht der Gedanke kommt, dass das falsch sein könnte.
In dem Kreuzberger Hühnerimbiss, in dem ich ein paar Tage zuvor geguckt hatte, hingen die Papierfähnchen aller an der WM beteiligten Mannschaften.
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U. ist ganz stolz auf seine kleine Tochter. Sie guckt ganz viel Fußball und schätzt die Mannschaften klug ein – sie hört halt gut zu und gibt dann das wieder, was die Kommentatoren gesagt haben. G. erzählt von den Jungs. Wie sie so übertrieben an dem Spiel teilnehmen und sofort hinausgehen und Feuerwerk zünden, wenn Deutschland ein Tor gemacht hat. Diese komische Aufregung macht sie verrückt.
Später das Spiel Korea – Belgien im Stream. Das Bild holpert. Ich esse Weingummi dabei. Die Balkontür ist offen. Draußen ist es kühl. Die WM ist zu leise. Die Vuvuzelas fehlen. Ich habe niemanden eingeladen, bin aber trotzdem traurig, alleine zu gucken. Irgendwann kommt ein schönes Wort vorbei: »Mentalitätsbestie«!!!
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Eine Woche lang war der Kiez gesperrt. Die UnterstützerInnen der Flüchtlinge hatten gefragt, ob sie ein Plakat im Club49 aufhängen dürften. »Klar.« Zunächst verstand ich das Plakat nicht. Sollten wir darauf aufmerksam gemacht werden, dass uns der Polizeieinsatz beim Fußballgucken stört? Nein, es war wohl irgendwie ironisch gemeint: Das ist also euer Einsatz für eine bessere Welt: Fußballgucken. Schämt ihr euch nicht?
Zwei Afrikaner guckten auch mit. Sie sahen sehr nett aus und kannten niemanden und feuerten die USA in einer afrikanischen Sprache an. Jermaine Jones fanden sie besonders gut. Großartiges Spiel. Nur schade, dass Belgien gewann.
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Tags darauf rede ich mit C. über das Spiel. Meine Redakteurin guckt gerne und kennt sich gut aus. Sie sagt, die Belgier seien besser gewesen, hätten also verdient gewonnen. Ich fühle mich ein bisschen hilflos, ich mag das Wort »besser« überhaupt nicht; es beansprucht eine Objektivität für sich, die ich ablehne; die Welt soll sich ändern. Ich bin dagegen, dass »der Bessere« gewinnt (!) und außerdem: Klar, die letzten zwanzig Minuten der regulären Spielzeit waren die Amerikaner platt und konnten nicht mehr, aber in der zweiten Halbzeit der Verlängerung haben sie Belgien an die Wand gespielt! Das war doch klasse! Wenngleich ohne Happy End.
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Auf die Idee hatte mich Andreas Merkel gebracht. Er ist Torhüter bei der Autorennationalmannschaft und schreibt auch viel über Bücher und manchmal bringt er eine rote Beatbox mit zum Training und stellt sie hinter sein Tor. In seinem Blog hatte er die übersteuerte Hymne gepostet. Eine andere, supertolle Performance. Das Lied zur WM.