Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fußball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
Irgendwie sind es auch komische Effekte; wenn man sagt, das Konto sei gepfändet worden oder wie man lebt, wie man wohnt, unter welchen Bedingungen man arbeitet und lebt. Die Leser vergleichen das mit ihrer Situation und denken, der Ärmste, aber es wird ja nichts passieren. Das Konto wird wieder freigelassen. Leute leihen einem Geld. In der kleinen Wohnung fühlt man sich wohler, als in der großen. Usw. Wenn man keine Lust mehr hat, unter bestimmten Bedingungen zu schreiben, macht man es eben nicht mehr und gewinnt dafür Zeit für das Hauptprojekt, eine Geschichte, die mir längst über den Kopf gewachsen ist.
Die Gründe, weshalb man dann erst mal nicht mehr regelmäßig für die Berliner Zeitung schreiben will, sind zugleich stichhaltig und vorgeschoben. Natürlich nervte es unglaublich, nicht nach bestellten, sondern nach abgedruckten Zeilen bezahlt zu werden. In manchen Monaten waren es zwanzig, manchmal auch sechzig Euro (also zwischen 10% und 30%), die man weniger bekam, weil kurzfristig Anzeigen geschaltet worden waren. Die Zeitung verdiente an jeder Anzeige zwei Mal: an der Anzeige und daran, dass sie einem weniger Zeilen bezahlen musste. (Die meisten Zeitungen machen es glaube ich so.) Irgendwie hatte es mich auch gestört, in einer größeren Zeitung Kolumnen zu schreiben; ich hatte mich von den Lesern beobachtet gefühlt.
Man hatte sich darüber beschwert und gesagt, dass man unter den Bedingungen keine Lust mehr hätte; die RedakteurInnen, mit denen man gern zusammen gearbeitet hatte, waren auf meiner Seite, aber die übergeordneten Instanzen sahen das anders; man kann es ihnen ja auch nicht übelnehmen.
So schrieb man vorerst einen letzten Text und war ein bisschen traurig.
Aber eigentlich war ich auch ein bisschen erleichtert, nun wieder mehr Zeit an dem Projekt arbeiten zu können. Das Projekt, eine Art Doc-Fiction, war vor bald zwei Jahren abgesegnet worden und ist schon ein bisschen älter. Die Materialsammlung ist sehr groß, aber muss noch viel mehr geordnet werden, um abzusehen, ob es was wird. Die Möglichkeit, dass es nichts wird, ist immer noch gegeben, auch wenn sie kleiner zu werden scheint. Erst wenn ich mir selber sicher bin, dass es was wird, will ich Verträge machen. In ein paar Wochen oder Monaten müsste ich mir sicher sein. (Klar, ich könnte vielleicht auch ein Eichhörnchen-Buch machen, aber …)
Ich arbeite vorsichtig. Gehe die Notizen durch, die ich noch in NoteBook gespeichert hatte, einem eigentlich ganz schönen Notizbuchprogramm, dass ich mir 2007 besorgt hatte und das leider in diesem Jahr eingestellt wurde. Vielleicht hatte ich mir das Programm gekauft, weil mir der Name der Firma so gut gefallen hatte: Circus Ponies Software.
Die Arbeit ist eher technisch. Es macht Spaß, die Notizen zu redigieren, zu kürzen, Überflüssiges rauszuschmeißen und alles dann in ein neues Schreibprogramm zu kopieren, das gut geeignet zu sein scheint, wenn man mit hundert Dateien gleichzeitig arbeiten will. Ich komme gut voran und habe ein bisschen Angst, also nicht wirklich, nur ein bisschen, vor der Zeit, wo ich dann richtig noch mal anfangen müsste, und träume in der Nacht von einem schwarzen Eichhörnchen.
Die Gesundheit nervt, auch wenn es Spaß macht, einen halben Tag in der Kardiologie zu verbringen. Das Klopfen wird heller, wenn weiter unten gemessen wird. Der Klang meines Herzens gefällt mir und wie sich das in dem Monitor so darstellt, auf den ich bei der Untersuchung schiele, gute Musik.
Als die Ärztin nach meinen konkreten Beschwerden fragt, fällt es mir schwer, zu antworten – ich bin ja seit einem Jahr mehr oder weniger ergebnislos in Behandlung –, und zeige mutlos auf die Körperbereiche, die komisch sind.
Dann wieder langes Warten. Ich lese in Verbannt! von Ann Cotten. Ab und zu blitzen Sätze auf, die mich zu kommentieren scheinen. Eine ältere Patientin sagt, sie hätte mich beim Lesen beobachtet und dass sie auch sehr gerne lese. Und was ich denn da lese. Ich sage, das ist ein Versepos von Ann Cotten und dass Ann Cotten eine bekannte Dichterin ist und dass ich gerne in Arztpraxen lese. Sie sagt, sie lese überall gern, schon viele Jahre. »Immer Bücher über die Seele«, und dann holt mich schon die Assistentin zum Belastungs-EKG.
Eigentlich macht das Radfahren Spaß, und ich bin fast enttäuscht, dass ich nicht mehr wie früher für meine Sportlichkeit gelobt werde.
Die Ärztin sagt, eine Herzklappe funktioniere nicht, das sei aber nicht notwendigerweise schlimm. Vielleicht wäre es auch angeboren und ob es in der Familie Herzprobleme gegeben hätte. Ich bekomme einen nächsten Termin für eine »Stresskardiografie« im Juli. Erst später fällt mir ein, dass mein Vater anderthalb Jahre vor seinem Tod an der Herzklappe operiert worden war.
Der Autor lebt in Berlin und ist mit der Mauer verheiratet.