Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fußball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
Eins
Ein Facebookfreund sprach von Eichhörnchen als »Flauschbanausen«. H. erzählte, wie sie im Park spazieren gegangen war. Ihre Hosen waren weit gewesen. Das Eichhörnchen war in die Hose und an ihren Beinen hoch geklettert. Das war sehr unangenehm und gar nicht flauschig.
Meldung: Zwei Eichhörnchen hatten es sich unter einem Auto bequem gemacht und wollten nicht weg. Der Autofahrer weigerte sich, loszufahren und rief die Polizei. Den beiden Eichhörnchen wurde ein Platzverweis erteilt. Den sie, beeindruckt von den schönen Uniformen der Polizisten, wie es in der Polizeimeldung hieß, auch befolgten.
Manchmal schaut mir das Eichhörnchen minutenlang zu, wie ich am Schreibtisch sitze.
Zwei
Ich komme in die Tage nicht hinein, bleibe drinnen, achte auf meine sogenannten Beschwerden. Der Tag vergeht. Ich esse Kartoffelsalat im taz-Café. Ist es der Frühling, der alles schöner macht, das Licht, wie es riecht und aussieht, habe ich mir angewöhnt, weniger, also konzentrierter zu rauchen? Seltsamerweise bin ich glücklich.
Morgens beim Arzt.
Rauchen auf dem Balkon.
Man sucht nach dem Einen und findet ein Anderes.
Als sie im Unterleib rumgesucht und nichts gefunden hatten, war ich enttäuscht gewesen. Nun gibt es eine Überweisung zum Kardiologen. Diesmal (in sechs Wochen) hoffe ich, dass er nichts findet.
Wie mit einem Hund geh ich mit dem Fahrrad vom Schlesischen Tor Richtung Kotti. Das Hühnerhaus hat grade aufgemacht. Hähnchen mit Pommer. Alles schmeckt super. Am Nebentisch unterhalten sich die Handwerker. Ich bringe das Tablett zurück. Der Mitarbeiter bedankt sich, wünscht mir einen schönen Tag, und ich freu mich.
Vor dem roten Einsatzwagen der Heilsarmee zwanzig Junkies. Ein Mann und eine Frau streiten. Sie werden handgreiflich, sind als Junkies aber zu lahm, als dass es gefährlich aussehen würde. Zwei Junkies halten die Streitenden fest.
Ein Motorradunfall. Polizei. Der verunfallte Motorradfahrer scheint wohlauf.
Kaffee trinken; draußen im Südblock. Im Hintergrund, aus einer nahen Hochhauswohnung der Bolero von Ravel. Autoverkehr. Der kleine Springbrunnen. Es klingt fantastisch frühlingshaft.
Deutsche, englische, spanische und türkische Sprachfetzen. Eine Frau schreibt am Nebentisch. Ein Mann in schwarzem T-Shirt auf dem »DISTURBED« steht, fragt zwei Freunde, ob er ihnen einen Schnaps ausgeben darf. Sie verneinen. Und trinken dann etwas anderes zusammen. Der Beatnik-Dichter Harry Hass schlurft vorbei mit aschgrauem Gesicht. Vielleicht war es auch jemand anders.
Ich blicke auf ein Hochhaus. Über einem Fenster steht »LIFE« in roten Buchstaben. (das Foto davon find ich grad nicht)
Guter Dinge lese ich ein Interview mit Ann Cotten. Sie spricht über die Spenser-Strophe. Ich probiere ein bisschen rum; mein Spenser-Strophen-Gedicht endet mit
(… …)
Verrat ich dich
Auf Straßen schlich
Mein Hunde-Ich.
Und jetzt sehe ich erst, dass es völliger Quatsch ist; die Spenser-Strophe endet ja mit cdd, bzw. bcc, wenn ich’s richtig verstanden habe. 🙁
Die von dem Schriftsteller Marcel Beyer im Haus der Kulturen der Welt kuratierte Tagung »Sprache und Wissen« ist ein großer Spaß. In acht Programmteilen unterhalten sich Wissenschaftler und Künstler auf der Bühne des Cafés des Hauses der Kulturen der Welt.
Hans-Jörg Rheinberger und Hanns Zischler erzählen, wie sie 1969, als Viertsemester, damit begonnen hatten, die Grammatologie von Jacques Derrida zu übersetzen.
Es ist sehr schön, den beiden zuzuhören.
Zu Hause möchte ich noch einmal in die Grammatologie schauen und entdecke, dass ich meine Grammatologie verloren habe. Immer wieder suche ich und finde sie nicht. Dann wird sie wohl durch die Wohnung spaziert sein. Und draußen beginnt es zu regnen.
Drei
Das Eichhörnchen läuft auf der Straße neben dem nahen Friedhof herum. Es treibt sich oft auf dem Friedhof herum. Und unter den Autos. Fast hätte ich nach ihm gerufen.
Ein paar Tage sehe ich es nicht, was vermutlich auch damit zu tun hat, dass ich häufig auf Arbeit draußen bin. Ich vermisse es; mache mir ein bisschen Sorgen, glaube aber nicht, dass es überfahren wurde. Dazu ist es viel zu flink und klug. Vielleicht ist es ja weggezogen.
Dann ist es wieder da. Sucht und findet die Walnuss, dreht ein paar schnelle Runden, gräbt eine Erdnuss aus, die es in einem der Balkonkästen vergraben hatte und legt sich wieder schlafen.
Vielleicht war es das letzte Mal, dass es bei mir geschlafen hatte. Es kommt zwar immer noch und macht seine Kunststücke. Wir sagen »hallo« und »wie geht’s« zueinander, aber es schläft nicht mehr hier, und sein zuvor gewölbtes Nest fällt langsam in sich zusammen.
Es schnappt sich die Nuss und isst und rennt dann die Hauswand am wilden Wein herunter. Bowie-Fans stehen auf dem Gehweg vor dem Haus und zücken ihre Handys, um es zu fotografieren. Kinder freuen sich. Eigentlich bin ich stolz, nicht sein einziger Fan zu sein. Und es hat eine neue Freundin gefunden. Oder einen Freund.
Am 21.4., also nächsten Donnerstag, lese ich um 19:30 im Kater Blau, Holzmarktstraße 25, 10243 Berlin. Also da, wo früher die Bar25 war. Ich freue mich sehr darauf, es soll etwas Besonderes werden; der Ort steht mir nah, es ist selbstbestimmt, ich überlege noch. Tiere werden auch dabei sein.