Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fussball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
Abends hatte ich noch in dem Buch Spielen von Karl Ove Knausgård gelesen, das mir unser Torwart zum Geburtstag geschenkt hatte, obwohl noch gar nicht Geburtstag war, aber das konnte er ja nicht wissen. »Am schlimmsten war dunkel mit Licht« schreibt Knausgård über die Ängste seiner Kindheit. Ich dachte an früher.
Wenn man im Bett lag. Unter der Tür, zwischen Tür und Teppich, kam noch ein bisschen Licht in das Zimmer, weil im Flur noch Licht an war. Und plötzlich war man überzeugt, dass im Zimmer noch jemand anderes war. Man lag im Bett. Es war dunkel. Nur dieser schmale Lichtstreifen unter der Tür.
Ich lag im Bett und konnte nicht schlafen und schaute auf den Sessel, der im Zimmer stand vor der Musikanlage aus der DDR, die ich zur Konfirmation bekommen hatte. Auf dem Sessel schien jemand zu sitzen.
Da saß jemand; man war sich ganz sicher, dass da jemand saß und einen beobachtete, obgleich man wusste, dass dort niemand sitzen konnte. Man hielt den Atem an, draußen hörte man die Schwester aus dem Badezimmer rauskommen. Nahm den ganzen Mut zusammen und rief sie mit schwacher Stimme. Sie machte die Tür auf; Licht fiel in’s Fenster, alle Dinge sahen wieder vertraut aus.
Wenn man dann, nachdem man das Licht wieder ausgemacht hatte, vergaß, die Decke vom Sessel zu nehmen, die sich im Dunklen in einen Mann verwandelte, sah man ihn gleich wieder und darauf warten, dass man einschlief, um einen im Schlaf dann zu ermorden. Man nahm seinen ganzen Mut zusammen, stand auf und machte das Licht wieder an. Und alles war wieder normal.
Das Schon-lange-her-sein kommt mir seltsamer vor, als dass etwas schon so lange her ist; dass ich zuletzt in einem Zimmer schlief, das wirklich so dunkel und still war, dass man schemenhafte Geister sehen konnte.
Dann war es Morgen. Und dann Vormittag. Ich ging spazieren, wie immer; Zigaretten, Milch und ein Croissant kaufen. Wieder dieser Laden in der Zossener Straße. Diese Torwand macht mich immer wütend, wenn ich vorbeigehe.
In diesem Laden in der Zossener Straße wird ein Buch namens Berlin Fucking City verkauft, und die komische Torwand steht da, um auf dies Werk aufmerksam zu machen. Und da, wo die Kuppel des Funkturms ist, kann man seinen Kopf reinstecken. Und dieser Laden und diese Torwand nerven mich immer, wenn ich daran vorbeigehe; vielleicht auch deshalb, weil Fucking City ja der Titel eines ganz wunderbaren Films von Lothar Lambert ist. Von 1981. Das Erste, was ich machte, als ich 1984 nach Berlin zog, war, mir eine Werkschau mit den Filmen von Lothar Lambert im SchwuZ anzuschauen. Und eigentlich ist Lothar Lambert, der kürzlich siebzig wurde, immer noch mein Berliner Lieblingsfilmemacher.
Jeden Abend ruft auch jemand von 02 an, ich erkenne ihn an seiner Nummer und nehme nicht ab. Er will mich in einen vier Euro teureren Tarif locken; ich will das aber nicht, weil ich es sowieso schon unverschämt finde, dass ich für Internet im Telefon zahlen muss, obgleich ich kein Internet in meinem Telefon haben will.
In der Nacht: johlende Touristen. Unterschiedliche Überlegungen.
Vor sechs Jahren hatte ich das Fenster schon einmal aufgenommen; es hat sich nur wenig verändert.
Eine Dame, vielleicht siebzig, sorgfältig geschminkt, an der Kasse von Netto: »Ach, ich habe meine Zigarettchen vergessen.« – »Welche nehmen Sie denn?« – »Die billigsten.« – »Power.« – »Ja Power!«