Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fußball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
Diabetes, Polyneuropathie und andere Krankheiten. Dann auch noch die Treppe runtergefallen. Eine Woche Zivildienst. Wenig rauchen. Weg vom Schreibtisch ist gesund. Seltsam, eine Woche nicht allein zu sein.
Wir kennen uns seit 91, wohnten lange nebeneinander und hatten viel Zeit miteinander verbracht. Wir hatten uns oft gestritten und hatten andere Helden. Ihm war diese ganze Politik näher gegangen oder er hatte so getan. Trinken hatte er im ASTA, Mitte der 70er Jahre gelernt, bei politischen Debatten. »Bei Parties rechneten wir einen halben Kasten pro Mann«. Wie stolz er gewesen war, als ihn ein schwarzer GI »Brother« genannt hatte. Er war da bei dieser Kaserne gewesen, um zu agitieren.
Die entschlossene Arbeitslosigkeit (des Politologen und Historikers) und wie angenehm es doch war, neben jemandem zu wohnen, den man immer besuchen konnte, wenn einem nach Gesprächen oder gemeinsam rumsitzen war.
Das Vertraute ist sehr angenehm. Und dass es ein Job ist, der mir vertraut ist.
Den ganzen Tag Fernsehen. Das Fernsehpublikum am Nachmittag besteht aus Senioren und Kindern. Gesellschaftliche Lehrstücke am Nachmittag. Bei RTL geht es um die Swingerproblematik: A. hat Eheprobleme. Ihr Mann beschwert sich, weil im Bett nichts mehr los ist. Die beste Freundin ist Künstlerin und macht mit ihrem Mann gerne Swingerparties. Partnertausch bringt Pep in unsere Beziehung. »Das ist doch krank.«
Die Sorgen möchte ich haben. Andrerseits. »Der Streit hat bei der 45jährigen tiefe Spuren hinterlassen.« Der entscheidende Satz der Nachmittagssendungen lautet: »noch weiß sie nicht …«.
Die Detektivserien, die ich noch aus meiner Zeit als Babysitter kenne, die Polizeiserien.
Ein Schauspieler sieht aus wie Ovid. Die gutgläubige Bürokauffrau. Die Wohnungen wie die Ausstellungsräume bei IKEA oder POCO-Domäne. Ich denke an Brecht und Alexander Kluge, er nickt wieder ein und wacht wieder auf.
»Ist das jetzt der Fritz-Walter-Gedächtnispokal?« – »Nein.«
Vielleicht ein Spiel der U-17-Frauen-Fußball-WM in Jordanien?
Nein, kann nicht sein. Die haben Bärte. Das sind junge Männer.
Danach Ausschnitte aus dem Duell zwischen Trump und Hillary Clinton in Endlosschleife.
Später wieder Fußball. Nordkorea gewinnt das Endspiel der U17-Fußball-WM der Frauen gegen Japan in Jordanien im Elfmeterschießen.
Lesen ist schwierig, weil er sich nicht mehr konzentrieren kann wegen der Schmerzen. »Mein letztes Buch, das ich gelesen habe, heißt Revolution und Kunst von Boris Bjalik und handelt von Gorki und Lenin. Ein strunzudummes Buch! Aber ich lese gerne dumme Sachen.«