Umsonst & draußen ist ein Fototagebuch, das wie das gleichnamige Buch Anfang 2006 beginnt. Das Material stammt größtenteils aus dem Blog november07, den Detlef Kuhlbrodt ab Ende 2006 und bis Herbst 2013 für die taz gemacht und für das Logbuch noch einmal durchgesehen, an einigen Stellen gekürzt und an anderen erweitert hat, um das Erzählerische zu betonen. Eigentlich ist Umsonst & draußen eher Fotogeschichte als Tagebuch; die Aufnahmen sind die Umgebung einer nicht erzählten Geschichte. Kuhlbrodt ist losgegangen auf der Suche nach Bildern, die irgendwie zueinanderpassen und dem Tag ein Gesicht geben. Manchmal sind die Helden Fahrräder, manchmal Autos, manchmal gibt es auch Menschen.
Erster Mai
LSD aus Thailand zum Frühstück.
Der erste Mai wird wieder politisch. Die neue Lust am Politischen.
Ich setzte mich dann ans Ufer und las in den Dämonen von Dostojewski. Wieder ganz begeistert vom bleichen Ingenieur Kirilow. Bei seinem ersten Auftritt sagt er: »Ich habe vier Jahre lang wenig Menschen gesehen. Vier Jahre habe ich wenig gesprochen und mich bemüht, mit keinem Menschen zusammenzukommen, wegen meiner Ziele, die weiter niemanden angehen.«
Ein paar Tage
Fünfter Mai Sieben
Adlergestell Richtung Schmöckwitz.
Alles schien friedlich zu sein.
H war überzeugt, dass die Menschen in den Häusern dieser Gegend ihre Freizeit mit Gewaltpornos verbringen.
Mittwoch, 09.05.07
In diesem Foto versteckt sich ein kleiner Vogel. Finde ihn.
Freitag, 11.05.07
Samstag, 12.05.07
Revierderby.
Rätselhaft und traurig ist der Fussball.
Montag 14.05.07
Es war vormittags. Nach vier Tagen war die Grateful Dead-Datei endlich vollständig geladen. Endlich hatte ich das fast vierstündige Konzert, das ich 1981 Ende März im Fernsehen nur teilweise gesehen hatte. Wir waren komplett dicht gewesen und ich war dann eingeschlafen, als die Gaukler kamen. Ich hatte es unbedingt noch einmal sehen wollen auch weil ich mir überlegt hatte, einen Roman zu schreiben, in dem der 28.3.81 eine wichtige Rolle spielen sollte. Eines von angedachten drei Kapitelns sollte am 28.3.81 spielen.
Die zu berichtenden dramatischen Ereignisse des 28.3.81 des angedachten Romans sollten durch das Grateful Dead-Konzert strukturiert werden; oder von diesem Konzert ausgehend erzählt werden. Deshalb war ich gespannt darauf, dies Konzert noch einmal zu sehen.
Am Anfang begrüßt Jerry Garcia das Publikum mit den Worten »Willkommen auf dem Mars«. Beim zweiten Stück schwenkt die Kamera auf ein riesiges Transparent, das im Publikum hochgehalten wird. Auf dem Transparent steht »HEAD SHOP«.
Weil ich das unbedingt notieren musste. holte ich den Laptop aus meinem Arbeitszimmer, schrieb zwei Worte. Dann fror alles ein. Nichts bewegte sich mehr. Finito. Die Festplatte war weg. Auch die Tricks, die im Benutzerhandbuch standen, halfen nichts.
Die Programme erstarrten am Vormittag. Die Festplatte des Macbooks war neun Monate alt. Der Systemzusammenbruch war wie ein Schlag auf den Kopf. Ich kannte das ganz gut, auch wenn es eine Weile her war. Willkommen im Déjà-vu-Gefängnis!
Natürlich hatte ich keine Sicherheitskopien. Alles, was im Kopf hätte sein sollen, war auf der kaputten Festplatte.
Stundenlang versuchte ich vergeblich, mit den Tricks des Benutzerhandbuchs etwas zu retten. Dann fuhr ich zu A., dem Apfelkenner der mir im letzten Sommer zu dem Kauf des Macbooks geraten hatte. In seiner Wohnung war es sehr heiss. Die Heizung war kaputt und ließ sich nicht ausschalten. Manchmal machte er die Balkontür auf, weil es so heiss war. Im Bücherregal stand »Against the Day«, das neue Buch von Thomas Pynchon.
A. probierte die ausgefallensten Tastenkombinationen. Ich guckte ihm zu und trank dabei Apfelsaft. Man macht irgendwas, dann passiert irgendwas, zuzusehen ist ganz schön. Solange jemand etwas tut, ist noch Hoffnung.
Die Fragmente, die Teil der Person hätten werden sollen, waren kaputt auf der kaputten Festplatte.
Das eröffnete die Möglichkeit, nun mehr mit dem Kopf als mit kurzlebigen Festplatten zu arbeiten.
Der Mann bei Gravis, zu dem ich den Laptop dann brachte, sagte, derlei geschehe öfter. Die Lebenserwartung der zur Zeit üblichen Festplatten sei doch sehr gesunken.
http://www.youtube.com/watch?v=Ldse7hpLphY
(Inzwischen gibt es das Konzert auf youtube; mein Lieblingsstück, »Wharf Rats« beginnt ab 2:50; Pete Townsend, der als Gastmusiker ab 2:38 einsteigt, weiß nicht so genau, was er spielen soll, raucht aber schön.)
2.
Abends. Scheiternde Versuche, den schlimmen Tag irgendwie … nachzuerzählen. Die üblich vielfältigen Gedankenfluchten.
Sich verändernd verästelnde, Betrachtungen.
Ohnmacht.
Schlechtes Gewissen.
Musik.
T.Rex.
»Electric Warrior«
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Begeistert am Anfang, aber dann kann man’s doch nicht ganz anhören, weil es im Kopf so perfekt gespeichert ist.
Das Cover von David Bowie und Morrissey, 1991 in Los Angeles:
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Medien; Mädchen, wie wir damals oft sagten.
Mittwoch 16.05.07
Als ich M von dem Crash erzählte, reagierte er wie Papa früher: »Mir ist das noch nie passiert.«
Mehrmals, vorwurfsvoll: »Mir ist das noch nie passiert.«
Er sagte tatsächlich:
»Komisch, dass dir das immer passiert.«
Samstag, 19.05.07
Letzter Spieltag. Vor dem Schmitz in der Torstraße stand ein Fernseher. Vor dem Fenseher standen viele Bänke. Hinter den Bänken standen viele Leute bis auf die Straße. Es war so voll, wie damals bei der WM. Bier gab’s auch in einem Laden auf der anderen Straßenseite.
Als ich kam, waren wir gerade Meister geworden. Leider hielt das nur neun Minuten. Dass ich meiner Lieblingsmannschaft zuschaute, tat ihr nicht gut.
Zwei Männer standen hinter dem Tresen. Einer trug ein Werder Bremen-Trikot; der andere war nackt. D.h. bis auf einen Lendenschurz. Niemand schien irritiert und wer irritiert war, ließ sich nichts anmerken.
Ein kräftiges Mädchen sah aus wie das blühende Leben. Sie trug ein blaues Trikot, auf dem stand: »Huub, Mike, Yves und Youri.« (Das waren die UEFA-Cup-Gewinner gewesen) Zwei lustige junge Männer in Blaumann und Schalke-Trikots. und blauen T-Shirts mit weißem S04-Schrift.
Ich hatte den Schalke-Schal mitgenommen, den mir Suh vor sechs Jahren im Parkstadion geschenkt hatte. Zum Glück war Suh nicht aus Korea hergereist.
Rechts standen die, die für Stuttgart waren, links die Schalker. Als das Stuttgarter Führungstor fiel, stimmten sie Gesänge an, die mit unseren Gesängen beantwortet wurden. Wir waren lauter.
Nach dem Spiel sangen die Unsrigen: »Blau und Weiss – ein Leben lang; blau und weiss ein Leben lang, blau und weiss ein Leben lang« Dadadadá dadadadadadada dadadadadadada dadadadá./ Dadadadá dadadadadadada dadadadadadada dadadadá ….
Dies »ein Leben lang« ist eigentlich total deprimierend.
Ich trank drei Weizen und ging dann heim.
Der Hinterreifen war platt.
Eine halbe Stunde lang schob ich das Rad betrunken nach Hause.
Als es dunkler wurde, baute ich das Hinterrad aus auf dem Bürgersteig.
Es hatte gar kein Loch im Hinterreifen gegeben. Die Luft war irgendwie anders entwichen.
Abends dann im ACUD. Fire Club. U. »Acid Bastard«, Suzie Wong. Einer der DJ’s war in in seinem anderen Leben Zahnarzt in Brandenburg.
Wir saßen auf einem weichen Sofa am Rande zurückgelehnt. Altersangemessen, kannten wir viele und kriegten Biers umsonst. Ein draufes Mädchen tanzte nervös die ganze Zeit. Manchmal wandte sie sich unvermittelt an andere. »Wieso spielt der denn keine Goa-Musik?« Irgendwann ging ein Bier entzwei. Ein großer Typ mit Batikhemd brachte ihr ein Glas Wasser. Und ein anderes Mädchen war ganz dünn.
Wie schön war es, nach Jahren wieder da zu sitzen und laute Musik zu hören!
In der Nähe der Theke stand ein dicker Mann; Anfang fünfzig vielleicht auch vierzig. Er trug eine schwarze Hose und einen riesigen weißen Pullover. Dezent aber selbstbewusst stand er da rum und unterhielt sich mit jungen Mädchen. Eine Zeit lang dachte ich, das sei bestimmt Lottmann.
Leider war es aber doch nicht Lottmann sondern ein Liedermacher, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe, der aber bei irgendeiner Produktion die irgendwo in Moabit vorhin aufgeführt worden war, mitgemacht hatte, wie mir Uli erzählte.
Als ich um vier ging, kam J. Ihre Schicht war wohl gerade zu Ende geangen. Sie wollte später noch ins Ostgut. Als wir uns umarmten, spürte ich ihre Rippen. Vielleicht auch meine.
Sonntag, 20.05.07
Montag 21.05.07
Schlafen, solange es geht.
»Zerbrösel die Skelette.«
»Fang mich.«
»Tor zum Friedhof ist offen.«
»Erledige die Zombies.«
Manchmal hakte eine Taste.
Oder die Rechenmenge war zu groß.
Dann ging der Ball aus.
Die erste Hälfte seines Lebens hat man also immer einen Ball gegen die Wand geworfen, bzw. geschossen. Mal sehn, was in der zweiten Hälfte so los ist.
Sonntag, 27.05.07
Karneval der Kulturen
Ein kleiner Rave vor dem Internetcafé; Gneisenaustraße kurz vor dem Mehringdamm.
Schwule Discomusik aus den 80ern, unglaublich gute Stimmung.
© Alle Fotos: Detlef Kuhlbrodt