Umsonst & draußen ist ein Fototagebuch, das wie das gleichnamige Buch Anfang 2006 beginnt. Das Material stammt größtenteils aus dem Blog november07, den Detlef Kuhlbrodt ab Ende 2006 und bis Herbst 2013 für die taz gemacht und für das Logbuch noch einmal durchgesehen, an einigen Stellen gekürzt und an anderen erweitert hat, um das Erzählerische zu betonen. Eigentlich ist Umsonst & draußen eher Fotogeschichte als Tagebuch; die Aufnahmen sind die Umgebung einer nicht erzählten Geschichte. Kuhlbrodt ist losgegangen auf der Suche nach Bildern, die irgendwie zueinanderpassen und dem Tag ein Gesicht geben. Manchmal sind die Helden Fahrräder, manchmal Autos, manchmal gibt es auch Menschen.
Samstag, 03.03.07, Geburtstag
Prenzlauer Berg
Friedrichshain. Die Musik war unglaublich. Ständig gab es auch Sekt zu gewinnen.
Sonntag, 04.03.07
S. recherchierte noch schnell für das Stadtmagazin.
Montag, 05.03.07
Es hatte einen schönen Regenbogen über dem Marheinekeplatz gegeben.
Auch in der Fürbringer Straße schien der Nachmittag dramatisch, als er sich zum Abend hin neigte.
Donnerstag, 08.03.07
Herzlichen Glückwunsch zum Frauentag!
Freitag, 09.03.07
Gestern Abend hatten wir Michael Winterbottoms »Code 46« geguckt und nun noch einmal Wong Kar-Wais »2046«. Beides tolle Filme.
Als ich »2046« zum ersten Mal geguckt hatte, war mir die Vielsprachigkeit des Films gar nicht so deutlich gewesen, weil sie ja durch die Untertitelung weggebürstet wird. Erst J. machte mich darauf aufmerksam, dass die Leute kantonesisch, japanisch und mandarin reden und sich häufig nicht verstehen.
Eigentlich sahen wir unterschiedliche Filme: ich verstand den Inhalt des Gesagten durch die deutsche Untertitelung; mir entging jedoch das für den Film wesentliche Nichtverstehen, das J., die Kantonesisch und ein bisschen Mandarin spricht, wahrnehmen konnte.
Obgleich wir beide den Film zum zweiten Mal guckten, hatten wir das Gefühl, Vieles nicht zu verstehen. Beim Gucken dachte ich wieder, das ist mein Lieblingsfilm. Alles, was gesagt wurde schien wahr.
Samstag, 10.03.07
Dann hatte der Abend fast zitathaft schön ausgesehen.
Dann war es später geworden.
Und ich hatte die ISO-800-Funktion entdeckt.
Sonntag, 11.03.07
Wahrscheinlich hatten sie eine Sondergenehmigung.
An manchen Tagen hatte ich meine Kamera zu Hause vergessen. An diesen kameralosen Tagen begegneten mir zwischen Kreuzberg, Prenzlauer Berg und weiter dahinten viele interessante Motive; offensiv freundliche, schnell gemalte Graffitis an Häuserwänden. Manche ganz klein; manche etwas größer, manche waren aber auch so offenbar psychotisch, auf so eine so schrill-triumphierend unangenehme Art gestört, dass man immer wieder beim Vorbeigehen entschied, das nicht aufzunehmen.
Aber immer noch freute ich mich über diese kleinen, indivudellen, abweichlerischen Zeichen. Manche dieser Zeichen schienen sich um die Aufmerksamkeit potentiell vorbeikommender Autorenaugen zu streiten; das Beschädigte notgedrungen wohl auch im Protest dagegen widerspiegelnd,
Ich nahm diese Zeichen auf unterschiedliche Weise wahr: vom Rad, zu Fuß und vom Auto aus zwischen Kreuzberg und Weißensee.
Von diesen Riesenplakaten am Hackeschen Markt (lange mit Miroslav Klose) fühlte ich mich angeschrien; nicht nur, weil sie so groß sind, weil sie so blöde glänzen, sondern auch, weil die Häuser, vor denen die Plakate sind, zu klein sind.
Auch hier fällt auf, dass sich die Bilder der Stars an ihrer Spielversion orientieren.
Das Bild von Miroslav Klose, ist kein Bild von Miroslav Klose, sondern das Bild der FIFA 07-Playstation-Version von Miroslav Klose.
Vielleicht ist man auch genervt, weil sich so viele Reklamen vor allem an Zwölfjährige wenden.
Als ich das erste Mal in der taz war; 1988, noch in der Wattstraße, hatte ich Baudrillards »der symbolische Tausch und der Tod« dabei; als eine Art von Identitätsschutz vermutlich. Die Sonne hatte geschienen und später kam es mir wie Verrat vor, als ich hörte, dass N mit dem Professor Sex gemacht hatte, nachdem der auf einer Ringvorlesung zum Thema »die Macht der Phantasie« umjubelt von Tausenden vorgetragen hatte. Unter denen ich auch war. Zum ersten Mal an der Uni. Ich hatte mich wie beim David Bowie-Konzert in der Waldbühne gefühlt.
Zugleich sei es wichtig, sich mit der »Entstehung der RAF und der Nachkriegsgesellschaft intensiv befassen«. Leutheusser-Schnarrenberger sagte: »Hier ist eine Initiative der Regierung gefragt.« Auch der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jerzy Montag, 60, befürwortet in der Zeitung »eine Gedenkveranstaltung. Sie sollte der Aufarbeitung der damaligen Zeit dienen, zum Beispiel dem Terror, dem Rechtsstaat und der Täter«. (SZ)
»Die deutsche Literatur Frühjahr 2007 wartet ab. Sie hofft. Und sie hat Angst.« (Volker Weidermann, FAS)
Abends hatte ich mir oft Marc Almonds Version des Jacques Brel-Hits »Jacky« angeguckt. Und mich da wieder komplett hineingesteigert.
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Noch anrührender diese Aufnahme. Sie ist glaube ich von einem Auftritt in der Türkei. Oder Finland oder Ungarn. Das Schönste, was man im Leben machen kann, ist jedenfalls glaube ich auf einem Konzert von Marc Almond mit vielen Leuten »Somethings gotten hold on my heart« zu singen.
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Sonntag, 18.03.07
Wir alle
Wir alle sind Ungdomshuset
und gucken jedes Wochenende Fussball im Vorbeigehen.
Das kleine Mädchen fragte:
»Was machen Sie da?«
»Ich hab das fotografiert.«
»Warum?«
»Weil es schön aussieht.«
Auf dem Weg zum Jumps-Sportcenter erwischten wir tatsächlich die einzigen drei Minuten Sonnenschein.
Weißensee wirkte etwas lädiert an diesem Sonntag.
bzw. scary
andrerseits aber auch sehr schön!
Dienstag, 20.03.07
Eigentlich war es schön, wieder bei »meiner« Zahnärztin zu sein.
Die Zahnärztin gab den meisten meiner Zähne noch zwei Jahre.
Der eine oder andere werde aber vielleicht zu retten sein.
»Dann höre ich eben in einem Jahr auf zu rauchen!« – »…«
»oder nächste Woche«
Mittwoch, 21.03.07
Macht minus vierundzwanzig. So viel, wie ein Tag oder zwei Jahre.
Man konnte sich eine dabei eine Geschichte ausdenken.
Donnerstag, 22.03.07; Frühling
Als wir aus dem Haus gingen, kamen uns zwei Menschen entgegen. Sie sagten lachend »Merry Christmas«.
In Wirklichkeit war es in dieser Nacht aber ganz schön ungemütlich in Kreuzberg.
Samstag, 24.03.07
Gneisenaustraße
Sonntag, 25.03.07
Dienstag, 27.03.07, Mannheim
Vor ungefähr einem Jahr war Nikki Sudden gestorben. Später und früher starben andere: Gene Pitney, Gerburg Treusch-Dieter. Viele, die ich sehr gern hatte. Vor ein paar Wochen war das Stardust Hotel in Las Vegas abgerissen worden; dort, wo das tolle »Something’s gonna hold on my heart«-Video, das er mit Marc Almond gemacht hatte, spielt.
Ich war aber plötzlich wieder in den Neunzigern. Hatte noch einmal die letzten Platten von Laurent Garnier gehört und sein Buch Electrochoc gelesen, weil ich in Mannheim für Spex den französischen DJ, Musiker, Produzenten treffen sollte. Er war dort auf dem Timewarp-Festival. Zusammen mit dem Pianisten Benjamin Rippert (der eher vom Jazz kommt, mit dem Laurent in den letzten Jahren viel rumgetourt war) hatte Laurent Garnier dort diesen großartigen lyrosophischen Dokumentarfilm »Finis Terrae« von Jean Epstein von 1929 live bespielt.
Probe
Jeff Mills war auch im Publikum
Benjamin Rippert, Laurent Garnier
Evergreen:
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Mittwoch, 28.03.07
Ich war leider viel zu fertig, irgendwie ja auch total weggeflasht, weil mir die elektronische Musik soviel bedeutete. Ich fühlte mich wie ein Verräter, weil ich mich die letzten Jahre im Unglücklichsein hatte gehen lassen, mich verrannt hatte, kaum noch gute Sachen produziert hatte; weil ich ich in den letzten Jahren viel zu wenig ausgegangen war.
Gleichzeitig wie befreit, als ich endlich einmal wieder aus Berlin draußen war, in Mannheim, weil diese Innenstadt ja auch so total super ist; weil es hier noch viel wärmer war als in Berlin, weil ich völlig übermüdet war. Am Nachmittag hatte ich sogar plötzlich wieder französisch sprechen können. (Am Abend war das dann wieder weg.)
Am Abend fehlte mir die Kraft, nach der Aufführung, noch mit Laurent Garnier, Benjamin Rippert, Mike Bangs und den anderen von Underground Resistance ins Restaurant zu gehen. Ich hatte plötzlich gedacht, ich wüsste sowieso nicht, was ich reden solle, stahl mich davon und saß dann stattdessen irgendwo allein mit Bier herum in so einem sanften Abend, hörte mir noch mal an, was Laurent Garnier dem Aufnahmegerät so erzählt hatte und zwischendurch auch das, was an den Nebentischen erörtert wurde.
Am Nebentisch erzählte ein Hiesiger (also Dortiger) von den Berliner Verhältnissen. Es sei doch so, sagte der Mann (sicher so ein Alt-68er). Also früher sei er ja selber hart an der Grenze zum Alkoholismus gewesen, trinke heute aber ganz diszipliniert nur noch ein Bier am Abend. Was in Berlin so geschehe, gehe aber nun doch ein bisschen zu weit. Da gäbe es Kneipen, »da bezahlt man 18 Euro und kann dann einen Monat soviel trinken wie man will.«
Dann ging ich ins Hotel.
Dann wachte ich ganz früh am Morgen auf. Im Halbdunkel bildete ich mir ein paar Minuten lang sehnsüchtig ein, plötzlich wieder in den 90ern; in meinen 90er-Jahre-Wohnung zu sein. (Es war ziemlich exakt so, wie in der berühmten Szene bei Proust; nur ein wenig anders; weil mein unbewusster Wunsch, wieder in den 90ern zu sein, vielleicht doch recht groß war.)
Wie schön sahen doch die Windräder aus, die die Bahn an die Strecke gestellt hatte, um uns Reisenden so ein Gefühl zu geben.
Ich freute mich darüber, dass der Typ am Tisch im Raucherabteil auf der anderen Seite des Ganges in der Jungle World las. Ob ich mir eine drehen dürfe?
© Alle Fotos: Detlef Kuhlbrodt