Umsonst & draußen ist ein Fototagebuch, das wie das gleichnamige Buch Anfang 2006 beginnt. Das Material stammt größtenteils aus dem Blog november07, den Detlef Kuhlbrodt ab Ende 2006 und bis Herbst 2013 für die taz gemacht und für das Logbuch noch einmal durchgesehen, an einigen Stellen gekürzt und an anderen erweitert hat, um das Erzählerische zu betonen. Eigentlich ist Umsonst & draußen eher Fotogeschichte als Tagebuch; die Aufnahmen sind die Umgebung einer nicht erzählten Geschichte. Kuhlbrodt ist losgegangen auf der Suche nach Bildern, die irgendwie zueinanderpassen und dem Tag ein Gesicht geben. Manchmal sind die Helden Fahrräder, manchmal Autos, manchmal gibt es auch Menschen.
Dienstag, 2.1.07
Eigentlich war ich vom Internet abgeschnitten. Aber wenn ich auf den Balkon
ging und den Laptop in die Luft hielt, hatte ich manchmal eine Verbindung.
Donnerstag, 4.1.07
Samstag, 6.1.07
Die Tage sind ereignislos und still. Nach dem Aufstehen um neun gehe ich zur Tankstelle, Brötchen holen und die Lübecker Nachrichten. Manchmal auch die taz oder die Frankfurter Rundschau. Nach dem Frühstück setze ich mich mit dem Kaffee in mein Zimmer, rauche und schreibe; dann gibt‘s Mittag. Irgendwas fällt uns immer ein und in der Küche läuft NDR 1.
Nachmittags gehen wir spazieren oder einkaufen oder beides zusammen. Und zwischen Kaffee und Abendbrot hol ich mir Zigaretten in der Tanke.
Normalerweise fotografiere ich ohne Blitz. Einmal vergaß ich es und zwei Menschen klopften ans Fenster des Hauses, dass auf dem Bild mit drauf war, weil sie den Blitz gesehen hatten und mich, den Blitzverursacher. Ich erschrak, war ganz durcheinander, winkte aber zurück, als sie winkten.
Später dachte ich, dass das bestimmt nette Freaks gewesen waren und stellte mir vor, wie interessant es gewesen wäre, sie kennen zu lernen. Ich sehe die Stadt ja nur von aussen und kenne niemanden.
Mit dem Beginn der Dämmerung gehen die Rolläden automatisch herunter. Dann gibt‘s Abendbrot. Eine Weile sitzen wir noch vor dem Fernseher. Meiner Mutter ist es nicht so wichtig, was ich sehe; nur sollte nicht soviel geschossen werden, während sie strickt.
Sonntag, 7.1.06
Im Bäckereicafé Olsson, in Rickling gibt es W-LAN für umsonst. Um das W-LAN der Firma »Freespot« zu nutzen, muss man sich allerdings einen dreissigsekündigen Werbespot von Ford angucken. In Schleswig-Holstein gäbe es insgesamt nur vier freie W-LANs. Er hätte diesen Service für Handlungsreisende eingerichtet.
Außerdem gab es bei Olsson ein leckeres Gebäck namens »Mmmmh«.
Donnerstag, 11.1.07
In den letzten zwei Wochen hatte hier höchstens fünf Minuten mal die Sonne geschienen. Meist regnete es und ein Sturm nach dem anderen brauste vor allem nachts durch die Kleinstadt im Herzen Schleswig-Holsteins. Die Bewohner verschanzten sich in ihren Häusern, spielten Dart oder machten es sich sonstirgendwie gemütlich.
Dienstag, 16.1.2007
Unter jedem Dach ein »Ach«. Manche Häuser hier waren wie Personen, hatten komische Gesichtsausdrücke, wirkten abweisend, unglücklich, hilflos. Vieles erinnerte mich an Twin Peaks, aber das war vielleicht auch nur ein literarischer Gedanke.
Freitag, 19.1.07
Samstag, 20.01.07
Dienstag, 23.01.07
Wir hatten im kleinen Zimmer gesessen und Backgammon gespielt. Wie immer hatte ich anfangs gewonnen und später verloren und zwischendurch am offenen Fenster eine Zigarette geraucht.
Mittwoch, 24.01.07
Wir standen im taz-Café und waren dafür, das heisst dagegen. Auf der Leinwand gab es nostalgische Dokumentarfilme über 1968, Bilder von Straßenkämpfen, später Rudi Dutschke in einer Talkshow.
Es war so voll, dass es keinen Sinn gemacht hätte, sich zwischen die Freunde der Rudi-Dutschke-Straße vor die Leinwand zu stellen, zumal wir deren Begeisterung nicht teilten; vielleicht weil die Botschaft – Rudi-Dutschke-Straße und Axel-Springer-Straße geben sich die Hand zur Versöhnung – uns zu harmonistisch vorkam, vielleicht, weil wir diesem Anführerkram nichts abgewinnen konnten. Insgeheim träumten wir ja noch immer von selbstverwalteten Betrieben ohne Chefs, von der Aufhebung von Hand- und Kopfarbeit usw. und wären wir damals jung gewesen, hätten wir uns eher auf die Seite der umherschweifenden Haschrebellen geschlagen.
A. schaute jedenfalls genervt zum Himmel; ich rauchte Zigaretten und B., meine Mitbewohnerin, wusste nicht, worum es ging.
Sie kam aus Schottland und wäre eigentlich auch stimmberechtigt gewesen, hatte aber nicht davon gewusst. Ich hatte ihr den Stimmzettel für den Bürgerentscheid vergessen zu geben, weil ich davon ausgegangen war, dass es ihr egal war.
Wir waren jedenfalls gerade vom Badminton gekommen. Zuvor hatte C. meiner Mitbewohnerin erklärt, worum es bei der Abstimmung gehe: “The taz wants to name a part of the Kochstraße after the name of a revolutionary from the Sixties. The Parliament had decided to do so. But the fascists from the tabloids are against it. That’s why there is a Bürgerentscheid. So everybody who lives in Kreuzberg can vote whether they want a Rudi Dutschke-Straße or not. Didn’t Detlef tell you about that?”
No. I didn’t.
Ich war auch selber nicht zur Abstimmung gegangen. Im Prinzip war ich zwar gegen die Rudi-Dutschke-Straße, hatte aber gleichzeitig auch keine Lust gehabt, gegen meine Zeitung zu stimmen. Vielen Kollegen schien dies Dutschke-Ding tatsächlich eine Herzensangelegenheit zu sein; mir war mein Dagegensein nicht wirklich wichtig.
Wir gingen dann bevor die Entscheidung bekanntgegeben wurde. Später gab es im rbb einen Bericht, der mit den Worten eingeleitet wurde: “Nur hier – im taz-Café – gab es eine hundertprozentige Mehrheit für Dutschke.” Das war eine dreiste Lüge. Wir auch im taz-Café gewesen, ich schwöre!; an diesem Sonntag, als die 68er es den ewig Gestrigen aus den Altersheimen in der Umgebung der Kochstraße noch einmal so richtig besorgt hatten.
Freitag, 26.01.07
Nachdem ich drei Filme geguckt hatte, sah die Potsdamer Straße am Potsdamer Platz prima aus und erinnerte ein bisschen an Hongkong.
Autos wischten vorbei und ich freute mich auf die Berlinale.
Als ich aus dem Fenster auf die Straßenkreuzung guckte, fühlte ich mich leicht gestört, wie eine Überwachungskamera. Die siebte Big-Brother-Staffel beginnt auch demnächst und außerdem ein Reality-Format, dass “Hüllenlos – auch nackt gut aussehen” heisst und nach “Frauentausch” kommt.
Zur gleichen Zeit, vielleicht auch ein paar Tage früher, standen die älteren Jungs immer noch am Flipper der Kreuzberger Kahuna Lounge, die übermorgen schon Vergangenheit sein wird. Keine Ahnung, wo man dann noch flippern kann.
Montag, 29.01.07
Nach zehn Jahren musste die Kahuna-Lounge leider schließen.
Wir hatten hier acht Jahre lang geflippert. Der Flipper davor hatte “Mars Attacks” und der davor “Theatre of Magic” geheissen.
So recht konnten wir uns von unserem Freund, der Maschine, nicht trennen. Wir hatten ja soviel Zeit miteinander verbracht.
Am Ende hatte ich mich fast schon wieder nüchtern getrunken.
Olaf behielt den Highscore und spielte die letzte Kugel.
Mittwoch, 31.1.07
Abends gab’s Angst in der Fehrbelliner Straße
Morgens grüßte das HB-Männchen in Kreuzberg.
© Alle Fotos: Detlef Kuhlbrodt