Umsonst & draußen ist ein Fototagebuch, das wie das gleichnamige Buch Anfang 2006 beginnt. Das Material stammt größtenteils aus dem Blog november07, den Detlef Kuhlbrodt ab Ende 2006 und bis Herbst 2013 für die taz gemacht und für das Logbuch noch einmal durchgesehen, an einigen Stellen gekürzt und an anderen erweitert hat, um das Erzählerische zu betonen. Eigentlich ist Umsonst & draußen eher Fotogeschichte als Tagebuch; die Aufnahmen sind die Umgebung einer nicht erzählten Geschichte. Kuhlbrodt ist losgegangen auf der Suche nach Bildern, die irgendwie zueinanderpassen und dem Tag ein Gesicht geben. Manchmal sind die Helden Fahrräder, manchmal Autos, manchmal gibt es auch Menschen.
Dienstag, 01.04.08
Schalke 1973 drückt Schalke 2008 beide Daumen.
Plötzlich was der Frühling da. Ich dachte an Suh, wie wir in der Saison, als wir eigentlich Meister geworden waren, fast alle Schalke-Spiele in der Weißen Taube geguckt hatten.
Sie hatte königsblauenTabak geraucht und von Schalke und dem Fansein erzählt:
Wie alles anfing
Ich hatte in Korea an der Uni zwei Semster Fußball gespielt. Freistoß, Ecke, Einwurf – alles mussten wir üben. In Korea hatte ich auch schon Bundesliga geguckt. Wegen Kum-Bum Cha, der damals in Frankurt gespielt hat. Kum-Bum Cha war bei uns so etwas Ähnliches wie Beckenbauer. Nur hatte er einen noch besseren Ruf.
1992 bin ich dann nach Deutschland gekommen. Die ersten sechs Monate hatte ich alle Bundesligaspiele gesehen, um die Mannschaften hier erstmal kennenzulernen.
Ich studierte Geografie. Deshalb hatte ich mich auch für das Ruhrgebiet interessiert. Die Mentalität dort mag ich: Solidarität, Harmonie und Bergbau. Deshalb kam ich wohl auf Schalke.
In Berlin mögen ja die meisten Dortmund oder Bayern München. Aber mir gefällt das überhaupt nicht. Ich mag die Berühmtheit nicht. Als ich dann Spiele von Schalke gesehen habe, hat mir das sehr gut gefallen.
Ich habe also eine ganze Saison lang Schalke beobachtet.
Ich habe immer allein zu Hause geguckt. Und hab dann immer alleine geredet. Und wenn Schalke ein Tor geschossen hatte, hatte ich immer das Fenster aufgemacht und in den Hof gerufen: »Tor, Tor!«, weil ich mich riesig gefreut hab.
Ungefähr zwei Jahre lang war ich als Fan allein. Dann wollte ich etwas mehr über Schalke wissen. Und dann hatte ich ein dickes Buch über Schalke 04 geschenkt bekommen. Da stand alles über Schalke drin.
Meine Freunde sind ja keine Fußballfans. Ich hatte aber immer über Schalke geredet und endlich hatte mir dann eine Freundin einen Schalkefan gesucht. Sie hatte ihn zufällig in einer Kneipe kennengelernt und ihm von mir erzählt. Dann hat sie ein Treffen in der »Weißen Taube« organisiert.
Das war an dem Tag, als Schalke gegen Bayern München spielte. Er war in Gelsenkirchen geboren, lebte aber schon lange Zeit in Berlin. Er hatte ein paar Schalkefanartikel für mich mitgebracht. Danach hab ich dann viele Schalke-Fans kennengelernt. Seitdem schaue ich mir die Spiele live an.
Wenn das Spiel um halb vier läuft, gehe ich mindestens schon um drei Uhr hin. Und wenn die Kellner mich sehen, schalten sie das Schalke-Spiel an. Das ist schon klasse. Nur letztes Mal hab ich mich ein bisschen geärgert. Da guckten wir Schalke. Und irgendwann kamen Hertha-Fans. Das Spiel war gerade zwanzig Minuten gelaufen und sie haben umgeschaltet. Das hatte mich richtig hysterisch geärgert! Wenn man das Spiel um halb vier angemacht hat, ms man das doch auch bis zum Ende zeigen!
Das war gegen Cottbus. Da sind dann alle Schalkefans in die »Milchbar« umgezogen. Wenn die »Weiße Taube« Hertha zeigt, zeigen sie in der »Milchbar« immer Schalke. Da haben sie auch eine große Leinwand. Und am Freitag schreiben sie immer schon auf eine Tafel, was für ein Spiel sie am Samstag zeigen. In den Franziskaner kommen auch oft Schalkefans, aber weniger.
Viele Schalkefans spielen bei der Mannschaft von »Schwarze Lunge« in der Freizeitliga. Einmal spielten sie im Wedding und konnten erst um halb vier kommen. Weißt du was ich gemacht habe? – Ich habe Unterschriften gesammelt, wo die Leute unterschrieben haben, dass sie um Punkt halb vier kommen. Und dann bin ich mit der Unterschriftenliste in die »Weiße Taube« gegangen und hab gesagt, dass sie später kommen. Sie haben mir vertraut und das Schalkespiel gezeigt.
Wenn ich in die »Weiße Taube« gehe, drehe ich vier Zigaretten für die erste Halbzeit. Weil ich beim Gucken ja keine Zeit habe, mir Zigaretten zu drehen. Ich hoffe bei jeder neuen Zigarette, dass ein Tor fällt oder irgendetwas Glückliches passiert. Solche Hoffnungen habe ich.
Das hat auch schon mal funktioniert. Da hat Schalke vier zu Null gewonnen.
Glücksbringer
Viele Leute drücken ja die Daumen. Aber Fußball spielt man ja mit den Füssen. Deshalb drücke ich meinen Zeh. Bei jedem Schalkespiel habe ich also meine Schalkesöckchen an. Nur als Schalke gegen Cottbus verloren hat, hatte ich das vergessen. An dem Tag war ich so hektisch gewesen; ich hatte die Socken schon gewaschen und auf dem Ofen getrocknet und dann habe ich vergessen, sie anzuziehen. In der Halbzeit hatte ich das plötzlich gemerkt. Paul hat dann zu mir gesagt, du musst jetzt ganz schnell nach Hause gehen. Ich hatte gedacht, okay, gegen Cottbus gewinnt Schalke ganz locker und blieb hier. Und dann haben sie verloren.
Ich habe vier Paar Schalkesocken. Das passt doch gut. Wenn sie kaputt sind, kaufe ich wieder neue.
Ich habe fast alle Fanartikel. Außer den Schalkewecker. Ich möchte den Schalkewecker haben! »Steh auf, wenn du ein Schalker bist … «
Gelsenkirchen
Im April 2000 war ich dann endlich das erste Mal in Gelsenkirchen. Das werde ich nie vergessen. Ich war mit einer Freundin, die in Dortmund wohnt, hingefahren. An dem Tag machte mein Herz richtig Bumbumbum. Ich freute mich wie ein Kind.
In Gelsenkirchen sieht man wenige Ausländer. Aber es gibt viele Leute, die gemischt sind. Sie haben kleine Augen und man sieht, dass ihre Großeltern von woanders herkommen.
Ich hatte natürlich meinem Schalke-Schal an. In der Straßenbahn hat ein Mann dann meine Freundin angesprochen, weil er dachte, sie wäre der Schalkefan und ich hätte den Schal nur wegen meiner Freundin um.
Es war April. Kurz vor Ostern. An dem Tag war richtig schönes Wetter. Schöner königsblauer Himmel. Schalke spielte am Abend gegen Ulm. Und es war auch noch Vollmond.
Auf der Straße hatte ich Schalkefans gefragt, wo das Parkstadion ist. Sie haben mir das nett erklärt und mir erst gar nicht geglaubt, dass eine Koreanerin wegen Schalke von Berlin nach Gelsenkirchen fährt. Ein Junge wollte sogar meinen Ausweis sehen. Sonst wollte er das nicht glauben. Das war sehr lustig.
Als ich ins Stadion kam, hab ich erstmal ein Bier geholt – ein Schalkebier. Auf den Bechern sind immer Bilder der Schalkespieler drauf. Weil ich Olaf-Thon-Fan war, wollte ich ein Bier mit seinem Foto haben. Leider gab es keins mehr. So hatte ich ein Schalke-Bier mit Marc Wilmots bekommen. Den Becher habe ich immer noch.
In anderen Stadien ist es ja oft sehr aggressiv und alle schimpfen. Im Parkstadion ist das anders. Da hatte ich mich gefühlt wie in einer Familie. Da hatte ich das Gefühl, ich gehöre dazu. Die anderen sehen zwar, dass ich Ausländerin bin, aber trotzdem gehöre ich dazu. Schade, dass wir nur Null zu Null gespielt hatten.
Auswärts; St Pauli
Unser Schalke-Bus ist dreißig Jahre alt, blauweiß und hat auch einen Lautsprecher. Der kann nicht mehr über 80 Kilometer fahren und die Fenster sind nicht richtig dicht. Bevor wir zu Auswärtsspielen fahren, mache ich immer Sushi und die anderen kaufen Bier.
Mit diesem Bus sind wir zum Pokalspiel gegen St. Pauli gefahren. Auf der Fahrt hatten wir getrunken und einen neuen Schalkesong geübt: »Andi, schieß ein Tor/ im Millerntor, im Millerntor!«
Drei Stunden hatten wir im Auto richtig laut gesungen und dann waren wir endlich im Stadion und hatten die Stimme verloren. So ein Scheiß!
An dem Tag hatte es die ganze Zeit geregnet. Das Spielfeld war sehr schlammig. Die Spieler sahen so aus, als hätten sie in den Reisfeldern gearbeitet.
Das Stadion am Millerntor ist klein. Ich bin ja auch klein. Deshalb musste ich runter gehen. Leider konnte ich da auch nicht besser sehen. Da standen zwei Sicherheitsleute, die ziemlich groß waren, vor mir. Ich hatte sie gefragt: »Entschuldigung, Sie verdienen jetzt Geld, aber ich habe Geld bezahlt, um richtig Fußball zu sehen. Können Sie sich nicht hinsetzen?« – Die haben gesagt, das geht jetzt nicht. Und ich hab gesagt, wenn ich nichts sehen kann, muss ich schreien. Nach zehn Minuten sind die dann woanders hingegangen.
Im Stadion hatte ich Fans aus Lübeck kennengelernt. Der Mann ist ein bisschen behindert und war mit seiner Frau gekommen. Sie haben sich riesig gefreut, einen asiatischen Schalkefan zu sehen. Wir haben sehr nett geredet und sie hatten mich gleich nach Lübeck eingeladen.
Rostock
Erst hatte ich mich nicht getraut, nach Rostock zu fahren, weil es da soviele Neonazis gibt. Ich bin ja Ausländer. Die anderen Fans hatten mir dann aber gesagt: »Wir sind ja auch noch da.«
Die Rostocker waren dann eigentlich sehr nett. Besser als hier im Olympiastadion. Okay, auf der Straße hatten wir ein paar Leute getroffen, die ein bisschen verrückt waren, aber das war die Ausnahme. Wir waren sogar in der Rostocker Fanclubkneipe und sie hatten uns richtig gratuliert: »Wir waren schlecht und ihr ward am besten.«
Hertha
Als Schalke in Berlin gespielt hat, sind wir mit 13 Leuten hingegangen. Nach dem Spiel waren wir wieder in der »Weißen Taube« und hatten die Zusammenfassung in »ran« noch mal geguckt. Im Stadion hatte ich ja zwei Tore nicht richtig gesehen, weil es im Stadion ja keine Wiederholung gibt.
Wir hatten an dem Tag richtig gefeiert.
Meistens sehe ich die Tore der Schalker viermal: erst live, dann »ran«, dann »Sportstudio« und dann noch mal in den »Tagesthemen« Wenn Schalke verloren hat, genügen drei Mal.
Wenn Schalke gewonnen hat, lese ich am Montag immer verschiedene Zeitungen. Die Berliner Zeitung ist da immer am besten. Oder die Süddeutsche Zeitung. Die versteht was von Schalke, aber ist immer auch ganz neutral. In den anderen Zeitungen gibts immer nur Hertha oder Bayern München. Ich nenne die immer Scheiß-Bayern. Andere nennen sie Drecksbayern.
Meister
Ich mag fast alle Spieler. Sand finde ich auch sehr sympathisch. Er ist ja Däne. Seine Mentalität gefällt mir. Oder auch Mpenza – das ist ja ein ganz ruhiger Typ. Er lächelt wenig, aber ein paar mal hatte ich auch sein Lächeln gesehen. Die beiden haben Sprachprobleme, aber verstehen sich sehr gut mit Zeichen. Nur Asamoah muss noch besser treffen.
Ich glaube fest daran, dass Schalke Meister wird. 2000/2001 ist ja auch ein neuer Anfang. Und vor einer Woche habe ich das erste Mal in meinem Leben Bingo gespielt. Meine Zahlen waren: 4, wegen Schalke 04. Weil Schalke Meister wird die 1. Und dann noch mein Geburtstag. Ich habe mit den Zahlen richtig im Bingo gewonnen. Ich glaube also ganz fest.
Fan-Sein
Früher war ich nicht so ein offener Typ. Wenn ich jemanden zum ersten Mal gesehen hatte, hatte ich nie viel geredet. Wenn ich jetzt irgendwo hingehe, rede ich mehr. Die meisten Männer interessieren sich ja für Schalke und ich kann auch für Schalke ein bisschen Werbung machen und erklären, was Schalke ist und dass ich Schalkefan bin. Wir können dann viel erzählen. Nicht nur über Schalke.
Eine Freundin hat mir mal gesagt, vielleicht sind ja deine Vorfahren Bergbauern und deswegen interessierst du dich für Schalke. Kann sein. Aber ich hab nie gehört, dass meine Vorfahren Bergleute sind.
»Und dann fiel das Tor und dann kannst du eben auch nichts mehr machen«,
wie Manuel Neuer soeben bemerkte.
Vor der »Weißen Taube«; nach dem Spiel.
Mittwoch, 02.04.08
Die Ich-bin-eine-Berliner-Straßenstehlampe in der Gneisenaustraße brennt die ganze Zeit und ununterbrochen.
Das ist tröstlich und schön, grad an grauen Tagen.
Donnerstag, 03.04.08
Das Lager im Keller der September-Galerie musste geräumt, die Kunstwerke wieder woanders hingebracht werden.
Als Olli Tinas schone Skulptur beim Bildhauerinnenumzug ganz allein die Treppe des Kellers der Galerie September runtertrug, dachte ich natürlich gleich an das schöne Lied von Hans Nieswandt Achieve the impossible (Help someone else), das mich vor etwa zehn Jahren eine Weile begleitet hatte.
Freitag, 04.04.08
Das 11mm-Fußballfilmfestival wurde eröffnet.
Dazu gibt es die ganze Zeit und rund um die Uhr die Installation »deep blue« von Harun Farocki in der Galerie des Babylon zu sehen. Es geht um das WM-Endspiel 2006 zwischen Frankreich und Italien.
Die Videoinstallation zeigt auf zwölf Monitoren das Ausgangsmaterial der Fernsehanstalten, sowie digital bearbeitete Bilder, die die mathematische Analyse des Spiels simulieren. Es gibt keinen Kommentar, sondern nur die ungefilterten Stimmen von Moderatoren, Polizei und TV-Regie.
Zum ersten Mal wurde »deep blue« auf der letzten Documenta gezeigt.
Zur Eröffnung von »deep blue« hatte ich eine Rede über Harun Farocki vorgelesen. Der Vortrag war nicht wirklich gut, weil ich mit dem Text viel zu spät fertiggeworden war, dann mit dem Fahrrad zum Babylon gerast war, Lampenfieber hatte usw.
Das erste Mal hatte ich Harun Farocki bei einer Pornodiskussion Ende der 80er-Jahre im weddinger Sputnik-Kino gesehen.
Alle waren an diesem Abend furchtbar aufgeregt gewesen. Das Sputnik hatte eine Woche zuvor kleine Pornofilmchen von ganz früher gezeigt. 20er Jahre. Autonome Frauen hatten das Kino dann überfallen gehabt und die Tageskasse geklaut. (sie hatten autonome Männer mit Eisenstangen vorgeschickt, wenn ich mich richtig erinnere; keine Lust, das jetzt noch mal genau zu recherchieren) Die Diskussion im Sputnik war jedenfalls furchtbar hysterisch, rechthaberisch, erregt, konfus und dumm gewesen. Nur Harn Farocki sagte kluge und einleuchtende Sachen. Er war mit einer schönen Frau gekommen und hatte eine schicke, rockstarmäßige Sonnenbrille getragen.
Später standen wir eine Weile im e-mail-Kontakt. Seine Mannschaft – Tasmania Bühne und Sport – wollte gegen unsere – also die taz-Fussballmannschaft – spielen. Farocki und ich spielten lustigerweise auf der gleichen Position als linke Verteidiger. Er gilt als »Eisenfuß«, ich bevorzuge ein körperarmes Spiel mit Offensivtendenz und gehe jedem Zweikampf aus dem Weg.
Aus diesem Spiel war dann leider nichts geworden. Wir waren sowieso eher eine zusammengewürfelte Trainingsmannschaft und außerdem an Auflösungserscheinungen erkrankt: Teile des Teams waren zum Fussballclub »Schwarze Lunge« desertiert. Unsere italienischen Spitzenkräfte mussten Samstag oft in der Gastronomie arbeiten. Unser Ex-Regisseur Matti Lieske hatte sich verletzt, und war auch noch zur Berliner Zeitung gewechselt. Der einzige organisationsbegabte Kollege, der obgleich er schon längst beim SPIEGEL war, immer noch für die taz-Mannschaft spielte, war in London, wo er ständig Interviews mit Jens Lehmann machte.
Als unsere Mannschaft sich dann wieder erholt hatte, hatte Harun Farocki seine aktive Fussballerkarriere leider schon beendet.
Der Traum von der vollständigen Quantifizierbarkeit. Die Erfindung immer neuer Kriterien, um die Effektivität eines Spielers (und einer Mannschaft) zu messen. Mit der Zeit wurde das Spielfeld immer besser bewirtschaftet, um immer höhere Erträge aus dem Boden (der Anteilnahme der Fans) herauszuholen. Das freut die Spitzenkräfte des Fussballs, die nun 30mal soviel verdienen, wie Mitte der 70er.
Samstag, 05.04.08
Im moabiter Theater Engelbrot hatte der Tiger von Kreuzberg vorhin seine Bühnenpremiere. Alles war ganz prima gewesen! Der Tiger hatte mit kleinsten Mitteln gezeigt, dass er’s im Theater auch kann, dass er genug Ausstrahlung und Bühnenpräsenz hat, um eine Bühne, allein zu füllen, ohne penetrant zu werden.
Von Moabit aus nach Kreuzberg zurück. Moabit ist übrigens nicht weiter von Kreuzberg aus entfernt, als der Prenzlauer Berg. Es ist angenehm, mit dem Fahrrad zu fahren. Auf dem Hinweg gibt es in der Lessingstraße einen sehr schön zu fahrenden kleinen Abhang, den man schwungvoll im Regen runtergleitet.
Im Rohr des Laternenpfahls leuchtete etwas.
Zwischen Domänekaufhaus und AGB.
Sonntag, 06.04.08
Greifswalder Straße
Weissensee, Nähe Antonplatz
Montag, 08.04.08
Knut sei gestört, sagt ein Tierpsychologe, gibt die BZ bekannt.
Eckkneipe Gneisenaustraße. Die Schlagzeile in BILD heute: »Wirt erhängte sich wegen Rauchverbot«.
»Er schreibe in einem Abschiedsbrief seine Verzweiflung und die Wut über das Rauchverbot nieder – dann ging er auf den Dachboden seines Hauses. Und hängte sich auf!«
Und hängte sich auf!
Automatencasino »Blackjack«, Zossener Straße
Mittwoch, 09.04.08
Sportacus!
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Donnerstag, 10.04.08
Nähe Südstern. Die Raucherproklamationen haben oft so etwas Tristes.
Freitag, 11.04.08
»Take it easy, altes Haus«. Es steht in der Nähe des Sonnenfelder Platzes. Uli Rasehorn hatte mir das Foto geschickt
Samstag, 12.04.08
Die Zitronenmelisse am Fenster blüht nur ungefähr in etwa so eine Woche lang im Jahr und auch nicht jede.
Tante Grete aus der Warschauer Straße hatte mir die Pflanze geschenkt.
Ein Päckchen war im Briefkasten. Absender war eine Anwaltskanzlei. Automatisch wurde mir sofort etwas mulmig. Während ich die Treppe hoch ging, überlegte ich, was ich in den letzten Monaten verbrochen hatte und dachte auch irgendwie an ziemlich damals, als ich mal wegen einer Geschichte zu einer Woche gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden war. (was eigentlich ganz nett gewesen war) Bei dieser Arbeit im Garten eines Altenheims, hatte ich jedenfalls einen dicken Dorfjungen kennengelernt. Keine Ahnung, wie der hieß oder woher er kam. (Wahrscheinlich aus Quaal oder Krems II) Er war jedenfalls in eine Bäckerei eingebrochen. Und weil die Sachen da so lecker waren, hatte er angefangen die Kuchen zu essen und weil so viele Kuchen da waren, hatte das lange gedauert und er war dann also kuchenessend in dieser Bäckerei erwischt worden. Und deshalb musste er wie ich ein bisschen gemeinnützig arbeiten. An diesen Jungen dachte ich, als ich das Päckchen öffnete.
In dem Päckchen war ein Buch mit Texten von Ben Witter und ein Brief, in dem stand, dass sich eine Jury in Hamburg darauf geeinigt hatte, mir diesen Preis zu verleihen. 15.000 Euro; mehr als ich in einem Jahr verdiene. Ich werde mir neue Turnschuhe, Hosen, Plasmafernseher, Playstation kaufen. Die Schulden sind dann auch weg. Ein paar Mal hüpfte ich probeweise in die Luft, machte eine CD von Hans Nieswandt an, ging spazieren und kaufte eine Flasche Champagner.
Abends guckten wir ein paar Folgen von »The Wire«. Komisch, dass das Ambiente der ersten Folgen, die 2001 gedreht worden waren, so altmodisch und fern wirkt. Dass also die gerade vergangene Vergangenheit im Film ferner wirkt, als meinetwegen die 70er-Jahre.
Lange Buchnacht; Lesung im FSK ab 24h.
Die Lesung war super. Lesen ist schöner als Schreiben.
Françoise Cactus hatte die Nacht des Rauchens im Möbel Olfe eröffnet. Als ich kam, war’s leider schon zu Ende. Vor dem Olfe das NichtrauchErinnen-Zelt. Für die einen ist das Möbel Olfe das Zentrum des queeren Lebens in Berlin; für mich einfach die nächstgelegene angenehme Kneipe. Wir standen da betrunken und redeten. Manchmal vergaßen wir gleich, was wir gerade gesagt hatten. Es war sehr schön! C. hatte aus irgendeinem Grund das legendäre Dreieralbum Welcome 2 the Pleasuredome mit. Ich wünschte mir Power of Love und Do you know the way to San José. Ansonsten spielten die DJ’s, beide eher um die fünfzig, komische Schlagermusik aus den 60er-Jahren.
Montag, 13.04.08
Jump’s Raucherhütte
Kotz.
Dienstag, 14.04.08
Im Auto erklärte P. uns lange den Unterschied zwischen Bauch und Herz. Das Herz sei zu utopisch, der Bauch mehr in der Mitte und lebenspraktisch sei es besser, auf seinen Bauch zu hören.
Kotz!
Freitag, 17.04.08
Samstag, 18.04.08
Sonntag, 19.04.08
Wie angenehm und schön ist doch dieser Morgen! Bevor ich wegfuhr, hörte ich Rhythm & Sounds w/ the artists. Trank Kaffee und las die taz; ein bisschen aufgeputscht, wie immer, wenn ich wegfahre, weil das ja selten geschieht. Zuletzt genaugenommen Weihnachten.
Automatisch meldete sich gleich die alte Verbesserungswut beim Lesen eines Artikels über Andreas Baaders Schallplatten. Interessant war doch, dass Andreas Baader damals eine Roxy Music-Platte hatte! Das wurde in dem Artikel verschwiegen! Darüber hatte mal Michael Rutschky geschrieben und dass ihm das sozusagen den Glauben an die zivilisierende Bedeutung von Popmusik genommen hatte. In dem taz-Artikel Worte wie »schmuddelrechts« und »verschwiemelt«. … Na ja – seis drum und auch egal.
Montag, 21.04.08
»Und Sie damit Geschichte«, würg!
Dienstag, 22.04.08
Plötzlich war Frühling.
Der Baum war in der Todeszelle.
Hier war wohl ein anderer Baum begraben.
Zwischendurch las ich in dem Buch mit ausgewählten Texten von Ben Witter. Im Vorwort des Buchs (Ben Witter – Moment mal!, Hrsg. Rolf Michaelis) ein Zitat, das mir ganz treffend vorkam: »Er ist 68er. Er leugnet sein Elitebewusstsein sogar vor sich selbst und demonstriert überall die emanzipatorische Sicht. Er besetzt, ob am Behördenschreibtisch oder im Kreisbüro der SPD, ständig Inhalte mit Begriffen«.
Bei dieser 68er-Diskussion neulich im Fernsehen wurde Klaus Peymann mit dem Zitat eingeführt: »Die 68er waren die Weltelite.«
Die mit den 68 Büchern würden den 68ern, die ich gut fand, die staatlich geprüfte 68er-Haftigkeit absprechen.
Freitag, 25.04.08
»Abstimmungs-Marsch« für die »Mutter aller Flughäfen«
Ich enthalt mich lieber.
Samstag, 26.04.08
Der Vogelwart war im Frühling fortgegangen. Die Trauer kam wieder in Wellen.
Sonntag, 27.04.08
Lübeck
Der neue Stadtteil.
Am Horizont das Stammhaus von Möbel-Kraft in Bad Segeberg.
Rickling
Ganz oben auf dem Erotik-Messen-Plakat steht: »EROTIK AMORE – die Ösi Messe übersiedelt nach Schnelsen«.
(Hamburg) Der zweite Traum spielte am ersten Mai. Ich demonstrierte mit der Hedonistischen Internationalen und war ganz verliebt, in meine Mitdemonstranten. Mit großem Lärm jagten uns die Polizisten. Wir rannten weg und versteckten uns am Rande. Die Polizeieinheiten mit ihren Schlagstöcken und Schildern zogen an uns vorbei.
Ein junger Polizist war so erschrocken wie wir, als er uns plötzlich sah. Die Angst, die wir gemeinsam hatten, verband uns. Es war ja wie Versteckspielen oder Kriegen in der Kindheit. Wir unterhielten sehr nett miteinander und jemand sagte, siehst du da unten am Wasser, da sitzt Elton John mit seinem Freund. Elton John war höchstens dreißig. Ich sah ihn auch nicht ganz genau, wollte fotografieren, ließ es dann aber.
Mittwoch, 30.04.08
»Im Garten sagte ich, dass ich den Herbst hier mag.
›Ich auch‹, sagte Axel Springer, ›aber den Frühling mag ich nicht und erst recht nicht den Sommer.‹«
(Ben Witter im Gespräch mit Axel Springer am Wannsee; Dezember 1967)
Während gegen halb sechs der Bezirksbürgermeister Franz Schulz etwas hastig das Rudi-Dutschke-Straßenschild enthüllte, mähte man in der Axel-Springer-Straße vor dem Springerhaus sehr laut den Rasen.
Der Festakt war gut gelungen und stimmte manche auch wehmütig. Letzten Monat wäre Rudi Dutschke übrigens 68 geworden. Kaum einer der Redner vergaß zu erwähnen, dass die Dutschke-Straße Vorfahrt hat.
»Er wollte seinen Mitmenschen nie etwas Böses«, sagte Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Europaparlament.
Auf dem Plakat da rechts steht »Revolutioniert die Revolutionäre«; der Kundgebungsteilnehmer links wandte sich mit seinem Plakat wohl auch gegen das Motto der anschließenden Kurzdemo: »Schafft ein, zwei, viele Dutschke-Straßen«. Ich verpasste die Gelegenheit, mich bei ihm zu bedanken.
Der Dalai Lama aus Kreuzberg
Marek Dutschke, der seinen Vater nie kennenlernte, fand angemessene Worte. Die ganze Dutschke-Familie war gekommen; auch der Bruder, der in der CDU Mitglied ist. Dass Petra Pau von der PDS dann die meiste Zeit ihrer Rede auf die CDU schimpfte, also so wahlkampfmäßig unterwegs zu sein schien, war nicht so schön.
© Alle Fotos: Detlef Kuhlbrodt