Umsonst & draußen ist ein Fototagebuch, das wie das gleichnamige Buch Anfang 2006 beginnt. Das Material stammt größtenteils aus dem Blog november07, den Detlef Kuhlbrodt ab Ende 2006 und bis Herbst 2013 für die taz gemacht und für das Logbuch noch einmal durchgesehen, an einigen Stellen gekürzt und an anderen erweitert hat, um das Erzählerische zu betonen. Eigentlich ist Umsonst & draußen eher Fotogeschichte als Tagebuch; die Aufnahmen sind die Umgebung einer nicht erzählten Geschichte. Kuhlbrodt ist losgegangen auf der Suche nach Bildern, die irgendwie zueinanderpassen und dem Tag ein Gesicht geben. Manchmal sind die Helden Fahrräder, manchmal Autos, manchmal gibt es auch Menschen.
Montag, 17.09.07
Den Tag über hatte ich noch über Marc Bolan nachgedacht.
Sein Tod in der Zeit des deutschen Herbstes; seltsam, dass es in der RAF-Doku von Aust keine zeitgenössische Musik gab (das Modernste immer Ton Steine Scherben von Anfang der 70er) und dass einerseits die Musik bei linken oder linksradikalen Demos lange Zeit immer sehr retro war (also Ton Steine Scherben etc.) und andererseits Andreas Baader alle Roxy Music-Platten hatte. (Darüber hatte mal Michael Rutschky geschrieben.) Egal.
Eigentlich nervt mich das. Dies ganze Retrozeug. Die schreibenden und filmenden Zeitgenossen der RAFler können dann halt noch mal loslegen.
Als Stoff für Filme, Artikel, Bücher, Seminare ist das RAF-Thema logischerweise super, wird aber in seiner zeitgeschichtlichen Bedeutung überschätzt. Die einen sitzen seit fünfunddreißig Jahren vor dem Fernseher und gucken Woodstock, die anderen beschäftigen sich ihr Lebtag mit der RAF.
Vielleicht sollte Alexander Kluge mal die Vorsitzende der T-Rex Action Group interviewen. Neulich hatte er eine schöne Sendung mit Helge Schneider.
Es war schwül und die ganze Zeit kurz davor zu regnen. Das bisschen Regen begann dann ein paar Stunden später.
Blaue Stunde, »crépuscule«, Baudelaire. Und in dem Buch von Walter Benjamin über Baudelaire diese schöne Passage aus Poes Der Mann in der Menge: »Andere, und auch diese Gruppe war groß, hatten ungeordnete Bewegungen, ein rot angelaufenes Gesicht, redeten mit sich selbst und gestikulierten, als ob sie sich gerade in der unzähligen Menge, von der sie umgeben waren, allein vorgekommen wären. Wurden sie angehalten, hörten diese Leute plötzlich auf zu murmeln, gestikulierten jedoch nur umso heftiger und warteten, ein abwesendes und übertriebenes Lächeln auf den Lippen, bis die Leute, die ihnen den Weg versperrten, weitergingen. Wurden sie gestoßen, verneigten sie sich übermäßig vor dem, der sie gestoßen hatte, und schienen völlig außer Fassung zu geraten«.
Dienstag, 18.09.07
Baerwaldstraße, Kreuzberg.
Mittwoch, 19.09.07
Zuhausefahren.
CMC = Constant Multitasking Crazyness
Herzlichen Glückwunsch zum Welt-Alzheimer-Tag!
Ich bin so matt/ich mag kein Blatt.
Samstag, 22.09.07, Sommerabend
Ich wartete vergeblich auf die Kohlmeise.
Heute ist übrigens Petparade. Im Körnerpark in Neukölln. Es gibt einen Katzenwagen, und Plüschtiere sind auch willkommen.
Montag, 24.09.07, 60ies
Irgendwie kam ich mit meiner Besprechung des Sammelbandes Alles schien möglich – 60 Sechziger über die 60er Jahre und was aus ihnen wurde überhaupt nicht zurande.
»Die Aufsatzsammlung soll der Tradierung dienen. Vielleicht auch Vorbilder liefern. Ein diffuses Wir aus den Frühzeiten der deutschen Alternativ- und Hippiekultur nebst versprengten Beatniks, meldet sich zu Wort, klopft sich auf die Schulter und möchte sich mit jüngeren Leuten verbünden. Die Jüngeren sollen durch die Geschichten der Alten in ihrem selbstlosen aber auch unbedingt hedonistischen Streben ermuntert werden. Das ist das pädagogische Ziel. Gemeinsam sitzt man dann am Lagerfeuer in der Vollmondnacht, lässt ein Pfeifchen herumgehen, mit offenem Mund lauschen die Jungen, wenn die Großeltern von den wilden 60er Jahren erzählen. Restpubertär möchte man sofort wegrennen«, schrieb ich heute mit schlechtem Gewissen.
Und notierte gehässig Sachen, die ich besonders doof fand: »Dank an verwegene Pioniere wie Timothy Leary und andere Acidheads, die sich gegen die Herrschaft der grauen Männchen aufbäumten und eine neue Frohbotschaft verkündigten. (…) Die Flamme schwelt noch, aber heute in einer verborgenen Gralshöhle.« (Bruno Martin, freier Autor und Seminarleiter)
Das Problem war, dass viele Leute in dem Buch ja prima sind und auch Texte dadrin sind, die das genauso sehen wie ich. Aber irgendwie ist immer so ein deutsches Element von sich-rechtfertigen-wollen, aus Neigungen eine Ideologie-machen-wollen dadrin. Vielleicht auch, weil man hierzulande Exzentriker nicht mag. Während Hunter S. Thompson in den USA ja ein Held war.
Als ich neulich zufällig noch einmal Angst und Schrecken in Las Vegas im Fernsehen gesehen hatte, war ich jedenfalls kurzzeitig wieder versöhnt mit den 60ies.
Dienstag, 25.09.07
Gleich beim Molinari hatten die Vögel auf der Seite im Rinnstein gelegen und mit Begeisterung an irgendwelchen leckeren Zweigen geknabbert, die sie mit ihren Schnäbeln zu sich heruntergezogen hatten. Sofort flogen sie weg, als ich sie fotografieren wollte.
Mittwoch, 26.09.07
Donnerstag, 27.09.07
Nostitzstraße, glaube ich.
In dem Hauseingang dazwischen war die Gegensprechanlage kaputt. Krächzend kam BBC-Radio über Burma aus der Sprechanlage.
Ich hatte mich im Laufe des Tages ständig informiert, und war wie beim letzten Irakkrieg emotional-medial beteiligt, fand es aber irgendwie auch pervers, als ich wieder anfing, mir ständig Notizen über die Berichterstattung zu machen.
Die besten eingesandten Bilder kommen ins Fernsehen.
»The whole world is watching«
Im Hintergrund läuft ein komischer Sampler namens: Krautopia. Sehr seltsam.
Freitag, 28.09.07
Gleich beim Friedhof.
Das bei seiner Errichtung zunächst umstrittene Indianerdenkmal.
Bücherbus in Rickling.
Bahnhof.
Samstag, 29.09.07
Draußen regnete es wie ein Idiot. Bei der Bushalte hatte ich mich nicht untergestellt, um die Untergestellten – vor allem ältere Frauen – nicht mit meinem Rauch zu belästigen. Dann hatten sie aber doch so aufmunternd geguckt, dass ich die Zigarette im geschützten Raum vollenden konnte.
Ich hatte mich extra links in den Bus gesetzt, weil, wenn man rechts sitzt, kann man das Schild nicht sehen, das den Weg zum »Standortübungsplatz Wüstenei« anzeigt.
Regionalbahn, über die Dörfer.
Bad Oldesloe.
Sonntag, 30.09.07, 22:14
Finale der Frauen-WM. Deutschland – Brasilien 2:0.
Ein neues Schild war in der Nachbarschaft.
Abends.
Montag, 01.10.07
Morgens.
Irgendwie gut.
Und morgen wird es wieder anders aussehen.
© Alle Fotos: Detlef Kuhlbrodt