Umsonst & draußen ist ein Fototagebuch, das wie das gleichnamige Buch Anfang 2006 beginnt. Das Material stammt größtenteils aus dem Blog november07, den Detlef Kuhlbrodt ab Ende 2006 und bis Herbst 2013 für die taz gemacht und für das Logbuch noch einmal durchgesehen, an einigen Stellen gekürzt und an anderen erweitert hat, um das Erzählerische zu betonen. Eigentlich ist Umsonst & draußen eher Fotogeschichte als Tagebuch; die Aufnahmen sind die Umgebung einer nicht erzählten Geschichte. Kuhlbrodt ist losgegangen auf der Suche nach Bildern, die irgendwie zueinanderpassen und dem Tag ein Gesicht geben. Manchmal sind die Helden Fahrräder, manchmal Autos, manchmal gibt es auch Menschen.
Donnerstag, 13.09.07
Gneisenaustraße.
Der Onanier-Silo ist am U-Bahnhof Südstern.
Ecke Bergmannstraße. Dadrunter hat jemand geschrieben: »auch auf Euch Scheiße Ich./weil ihr Machtpolitik macht/ und ihr Schwulenhasser seid.« Unterschrift: »Antichrist«.
Bergmannstraße, gleich bei der Schule.
Erst gab es ganz viel Wetterleuchten beim Halbfinale zwischen Spanien und Italien. Dann hatte es gewittert beim Gucken im Beachvolleyballclub an der Möckernstraße 43. Manchmal blieb das Bild dann stehen und verpixelte wie damals die Internetlivebilder von der ersten Big-Brother-Staffel.
Dann war es schön mit einem Handtuch als Turban über dem Kopf durch die Straßen nach Hause zu gehen.
3 Tage wach, der Sommerdrogensmashhit von Lützenkirchen. Die offizielle MELT-Hymne. Es gibt auch eine verpeilte Seite dazu. Wir hatten am Grabower See darüber gesprochen und den Text dann im Intro gelesen. Es nervte doch sehr, wie das Lied immer weiter in meinem Kopf herumrabaukte.
Ferien auf Saltkrokan
Der Freund war grippal. In seinem Arbeitszimmer sprachen wir über Rhythm & Sound. Er kannte Mark Ernestus, weil er früher im Kumpelnest gearbeitet hatte. R. hatte mir vor ein paar Jahren die Platte »Smile« empfohlen, als ich ihn nach antiparanoider Musik gefragt hatte. Dann hatten wir auch jahrelang in dem gleichen Haus am Maybachufer Tischtennis gespielt, in dem sie ihr Studio hatten. Im Vorderhaus die kurdische Volkstanzgruppe; im Hinterhaus Hardwax, Rhythm & Sound aka Basic Channel und wir am Kaffeetrinken, Rauchen, Tischtennisspielen und Bundesligaradiohören.
Die See Mi Yah (Remixes)-Platte gegeben, die ich zuerst bei Harald gehört hatte.
Das Haus hat einen schönen Dachgarten und war ganz früher mal besetzt. Es war wie an der Ostsee.
Ein bisschen auch wie in einem Raumschiff.
Samstag, 15.09.07
Sonntag, 16.09.07
Heute vor dreißig Jahren ist Marc Bolan gestorben.
In Barcelona und London gibt und gab es, heute und gestern, Erinnerungsfeiern, wie die T-Rex Action Group (TAG) mitteilt.
Wenn ich eine C90-Cassette mit den schönsten Marc-Bolan-Liedern aufnehmen würde, sähe sie so aus:
Seite Eins
Tyrannosaurus Rex:
Afghan Woman
One Inch Rock
Stacey Grove
Eastern Spell
Cat black (The Wizard’s Hat)
Great horses
Elemental Child
Cosmic Dancer
King Of The Rumbling Spires
Frowning Atahuallpa
Deboraarobed (John’s Children)
T. Rex:
Teenage Dream (1974)
Celebrate Summer 1977
Seite Zwei
T. Rex
Mambo Sun (1971)
The Wizard (John’s Children) (1965)
Hot Love (1971)
Girl (1971)
Life’s A Gas (1971)
Rip Off (1971)
Metal Guru (1973)
20th Century Boy (1973)
The Slider (1972)
She was born to be my Unicorn (1968) (Tyrannosaurus Rex)
Teen Riot Structure
Life is an Elevator (das mochte Harald sehr gern)
LIVE:
Ride a white Swan
Debora
(Mist; die zweite Seite der Cassette ist zu kurz für die Stücke …)
Vor zwei Jahren hatte ich auch mal einen Artikel über Marc Bolan geschrieben, der am 1.8.2005 in der taz war:
Baum der Möglichkeiten
»Das Wichtigste in der Philosophie sind Schreie, um die herum Konzepte zu regelrechten Gesängen werden.« (Deleuze/Guattari, 1000 Plateaus)
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Vor einigen Wochen, als der Sommer noch weit weg war, traf ich Marc Bolan wieder. Sein Lockenkopf war auf den Plakaten, die an einer alten Mauer nahe der U-Bahnstation Warschauer Straße klebten. Ich dachte: »klasse!« und hoffte, die anderen, die die kleinen Plakate sehen, würden auch so denken. Es ging um eine DVD mit der rundum renovierten Fassung des Films Born to Boogie, den Ringo Starr 1972 mit T. Rex gedreht hatte, zwei Konzerten, die die Band am 18. März 1972 in Wembley gegeben hatte und diversen Extrafeatures. Erwartungsfroh wartete ich auf die Erscheinung.
Marc Bolan war mein erster Held gewesen und mir später immer wieder in wichtigen Lebensphasen begegnet: Anfang der 80er im existenzialistischen Punkumfeld; Ende der 80er in der Berliner Komparatistenszene, als mir ein auf Proust spezialisierter Freund aus Bayern eine Cassette mit den schönen Liedern aus der Hippiephase von Marc Bolan aufgenommen hatte, die ich immer wieder gehört hatte.
T. Rex lief auch oft im Risiko, dem in den 80er Jahren wichtigsten Club West-Berlins. Dort hätten sie morgens oft bedrogt Get it on und solche Sachen gehört, erzählte neulich eine Bekannte, und dass sie bei T.Rex deshalb immer an Drogen denken würde. Andere denken an Rummelplätze, und der LOVE-Parade-Erfinder Dr. Motte hatte in frühen Technotagen auch immer gerne T.Rex-Stücke geremixt.
Der Einfluss von Marc Bolan reichte jedenfalls bis weit in die 80er; ach was: bis heute. Weltweit sind immer noch zahllose T.Rex-Fanclubs aktiv und machen teils großartige Webseiten.
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Marc Bolan war der erste Superstar der 70er Jahre. Zwischen 1970 (Ride a white Swan) und 1973 (The Grover) hatten T.Rex hintereinander zehn Top-Ten-Hits in den britischen Charts – viermal Nummer 1, dreimal Nummer 2, zweimal Nummer 3 und einmal Nummer 4 – und verkauften 39 Millionen Platten
1972 waren T. Rex unschlagbar, und die Fans trugen Schals, auf denen T.Rex oder Marc Bolan stand, um die Band bei Auftritten anzufeuern. In dieser Zeit spielt die T.Rex-DVD. Sie ist super! Ich guckte sie mir immer wieder und wieder an.
Es hatte damit angefangen, dass Ringo Starr seine Karriere als Filmer fortsetzen wollte. So plante er eine Reihe von Dokumentarfilmen: über Liz Taylor, Richard Burton und den fussballspielenden Beatnik George Best und Marc Bolan. Verwirklicht wurde dann nur »Born to Boogie«, der eine Weile, nicht wirklich erfolgreich, in den Kinos gezeigt wurde und dann jahrzehntelang verschütt gegangen war.
Jahrelang hatte das leicht beschädigte Filmmaterial in einer Garage gelagert und wurde dann aufwändig restauriert. Das Undeutliche und Körnige wurde beseitigt, der Ton fleissig entzerrt und gefiltert, so dass man nun jedes Instrument so hört, wie es auch gespielt wurde. Alles klingt nun so sauber, wie jedes Livekonzert im Fernsehen. Es gibt ein paar Features, wo Bearbeitetes und Unbearteitetes gegeneinandergestellt werden: die ursprüngliche Version wirkt kraftvoller. Glücklicherweise gibt es auf der DVD die Möglichkeit, sich Born to Boogie zumindest mit der alten Tonspur anzugucken.
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Der Film Born Boogie besteht aus tollen Ausschnitten des Wembleykonzerts, aus Jam-Sessions mit Ringo Starr und Elton John, sowie aus allerlei seltsamen, surrealistisch slapstickhaften Zwischenstücken.
Die Einflüsse sind unverkennbar: Monty Python, Fellini, Alice in Wonderland, Andy Warhol.
Vieles wirkt angenehm spontan amateurish. Das Attrappenhafte, Künstliche und Kindliche steht neben der, durchaus ironischen Behauptung der Rock’n’Roll-Seele, wenn Ringo Starr und Marc Bolan ungefähr fünftausend Mal versuchen, wechselseitig ein Verslein aufzusagen und dabei immer wieder einen Lachanfall kriegen: »Some people like to rock, some people like to roll …«
In der Eingangssequenz sieht man eine Minute lang einen roten Cadillac die Rollbahn eines Flughafens auf den Zuschauer zufahren. Drinnen sitzen Ringo Starr in einem Haselmauskostüm und Marc Bolan mit einem schönen Zauberzylinder. Im Hintergrund wackelt ein ausgeschnittenes überlebensgroßes Foto von Marc Bolan vorbei – eine Reminiszenz an die Zeit, als Bolan als Teenager als Modell posierte. Dann kommt ein Zwerg und isst den Spiegel des Autos.
Es gibt Konzert-Passagen, die berühmte, in John Lennons Garten gedrehte, Monty-Python-beeinflusste »Mad Hatter’s Tea-Party« mit hamburgeressenden Nonnen und einem Gastauftritt von Geoffrey Bayldon, dem Hauptdarsteller der wunderschönen Kindernachmitagsserie Catweazle, sowie ein von Geigen begleitetes Bolan-Medley und eine sehr rock’n‘rollige Version von Children of the Revolution mit Ringo Starr am zweiten Schlagzeug, einem Jerry-Lewis-haften Elton John am und Marc Bolan im weißen Flügel. Der ist da wirklich drin und singt weißgeschminkt sein »you can’t fool the children of the revolution«.
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Die beiden Konzerte, die T.Rex am 18. März ’72 vor jeweils zehntausend Leuten in der Wembley-Halle gegeben hatten und die ungekürzt auf der DVD sind, sind auch ganz groß. Es gibt die bis dahin großen Hits – Jeepster, Telegram Sam, eine mitreissende Version von »Get it on«; einen akustischen Part, wo Bolan im Schneidersitz wie zu Tyrannosaurus-Rex-Zeiten, teils leider etwas zu pathetisch Spaceball Ricochet, Girl und Cosmic Child singt, eine wunderschöne Version von Baby Strange und ein fast punkiges Summertime Blues als Zugabe.
Am besten sind eigentlich die kleinen Momente des Konzerts: wie der quasi warholmäßig überdetimierte Marc Bolan – hinter ihm ist eine Bolanpappfigur aufgebaut und er trägt ein Marc Bolan-T-Shirt – beim Abendkonzert, am Anfang des ersten Stücks (Cadillac) total angespannt ist, kurz zur Seite schaut, einen Techniker anschnauzt und ein zwei Minuten braucht, um sich zu fangen, um zu realisieren, dass alles super läuft und dann ganz gelöst zu Steve Currie, dem Bassisten hin lächelt. Oder wie Mickey Finn und Marc Bolan eine Minute lang bei »Get it on« ganz viele Mini-Tambourins ins Publikum werfen oder wie ein gelb-rot gekleideter Fan die Bühne entert, Bolan kurz anfasst, von Sicherheitsleuten weggeführt wird. Also wie total glücklich das Gesicht des Fans da ausschaut. Und das Beste an dieser Szene ist, dass im Bühnenhintergrund schon der nächste glückselige Fan auftaucht.
»T.Rex-Fans are the craziest I’ve ever seen, and that includes Beatles and Bowie-Fans«, hatte der T.Rex-, David Bowie- und U2-Produzent Tony Visconti einmal gesagt. Am beeindruckendsten sind vielleicht die glücksstrahlenden Gesichter der meist kaum 14jährigen, die so schön aussahen mit Glitter im Haar und prima geschminkt, vielleicht um Marc Bolan, ihrem Impersonator, zu ähneln, der erst ’71 damit angefangen hatte, vielleicht auch, um den Titel des ersten, 1968 erschienenen »Tyrannosaurus Rex«-Album zu zitieren: My People were fair and had sky in their hair, but now they’re content to have stars on their brows …
»My people were fair and had sky in their hair … / But now they’re content to wear stars on their brows«
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Lange verlor ich mich in den vielen Extra-Features der DVD. Schaute mir Cadillac aus vier Kameraperspektiven an, beobachtete den supercoolen Mickey Finn beim Trommeln und wie die Musiker interagierten auf der Bühne; hörte jeder einzelnen der vier Tonspuren von Jeepster zu und kicherte, als ich entdeckte, dass Steve Currie die ganze Zeit eigentlich »Walk the Line« auf seinem Bass spielte. Die T.Rex-Dokumentation von Bolansohn Rolan enttäuschte mich dagegen, weil sie sich vor allem auf die Superstarzeit von Marc Bolan beschränkt und all die Brüche ignoriert, die T.Rex als Teil einer (Sub-)Kulturgeschichte so interessant machen. Immerhin gibt es darin ein schönes Interview mit vier total sympathischen Fans Mitte vierzig, die damals bei dem Konzert dabei waren und auch ein längeres Gespräch mit dem einzigen Überlebenden der Band, dem Drummer Bill Legend, der nur noch in christlichen Gottesdiensten trommelt. Schön auch, dass man wenigstens einen von John Peel eingeleiteten Tyrannosaurus Rex-Auftritt von ’67 auf die DVD mit raufgenommen hat. Alles schwarz-weiss und sehr psychedelisch. Der Klub hieß Middleearth.
Tyrannosaurus Rex. Marc Bolan und Steve Peregrin Took.
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Ich verließ die DVD, die mich angefixt hatte. Ich hörte mir das Gesamtwerk von Marc Bolan immer wieder an, recherchierte den T.Rex-Komplex im Internet, unterhielt mich mit Freunden, kaufte mir Platten und dachte an früher.
Metal Guru, der letzte Nummer-1-Hit von T.Rex, war meine erste Single gewesen. Ich hatte sie mir mit zwölf gekauft. Später hatte ich viel Zeit damit verbracht, Musik aus einer Zeit nachzuholen, die ich auch gern miterlebt hätte. Diesen ganzen 68pp. Kram halt. Rückblickend sind T.Rex viel besser gewesen als die späten 60ies Bands. Bolan konnte auch technisch viel besser schreien als Jim Morrisson oder John Lennon. Meine erste Uni-Arbeit hatte ich über Jim Morrisons »Now«-Schrei in When the Music’s over geschrieben. Ich hätte besser über Bolans »Wow« schreiben sollen.
Marc Bolan ist die Passage, die von den 60ern in die 7oer und 80er führte. Der letzte Hippiemystiker sozusagen, der Worte sang, die er oft selbst nicht verstand und der erste Glamrocker. Glam war ein weites Feld der Begeisterung, Verwandlung, Verkleidung, Stellvertretung, der trivialisierten Ausstellung des Eigenen und Anderen; der Verführung, sexuellen Ambivalenz, des authentisch Nichtauthentischen, in dem fast zeitgleich auch David Bowie, mit dem Bolan befreundet war, tätig gewesen waren und das über Alice Cooper, Queen und Roxy Music in die 80er Jahre führte.
Weil sie sich gern verkleideten und schminkten, forderten Eltern ihre Kinder auf, die Poster mit diesen Schwulen abzuhängen. Sie missverstanden die Zeichen auf den Postern. Die eigentliche Botschaft war gewesen, dass es egal ist, ob du ein Junge oder ein Mädchen bist.
Das könnte man jetzt alles auch noch mit Zitaten von Oscar Wilde, Nietzsche, Kierkegaard, Foucault, Deleuze, Roland Barthes, Andy Warhol, Walter Benjamin und Proust aufpeppen oder so theweleitmäßig die Attraktiviät der Glamrockbeziehungsmodelle analysieren – Marc Bolan/Steve Took bzw. Mickey Finn; David Bowie/Mick Ronson bzw. Iggy Pop; Bryan Ferry/Eno etc.
Mickey Finn war auch super!
Nicht unerwähnt sollten die zwei wegzensierten Liedzeilen bleiben – aus »Lift up your skirt and fly« in Desdemona wurde »Why do you have to lie«; die »Cocaine-Nights« aus Dandy in the Underworld wurden zu »T.Tex-Night« und eigentlich läßt sich das Wembley-Konzert von T.Rex in seiner ganzen Tragweite auch nur begreifen, wenn man sein Gegenstück, das letzte Konzert von David Bowies Ziggy-Stardust-Tournee, im Hinterkopf hat. Davon gibt es ja auch einen Film. Herauskäme, dass Bolan der bessere Rock’n’Roller und Bowie der überzeugendere Melancholiker war. Interessant auch, dass Bowie seinen Song Lady Stardust Bolan gewidmet hatte: »People stared at the makeup of his face/ Laughed at his long black hair, his animal grace/ The boy in the bright blue jeans/ Jumped up on the stage/ And lady stardust sang his songs/ Of darkness and disgrace/
CHORUS
And he was alright the band was altogether
Yes he was alright the song went on forever:
And he was awful nice
Really quite paradise
And he sang all night long«
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Wenn man ein bestimmtes Thema, das einem herzensnah ist (und was könnte herzensnäher sein als die Stars, die man sich mit zwölf ausgesucht hatte) länger recherchiert, entsteht ein virtueller Roman mit vielen Haupt- und Nebenpersonen, der am Rande ausfranst und allerlei seltsame Aspekte enthält.
In der Mitte Marc Bolan, der jüdische Arbeitersohn aus Hackney, der mit vierzehn von der Schule geflogen war usw. Als große Nebenrolle Steve Peregrin Took, der Percussionist und revolutionäre Drogenhippie, mit dem Bolan von ’67 bis ’70 Tyrannosaurus Rex gebildet hatte. Took war nach dem einen Hobbit aus dem Herr der Ringe benannt. Es wird gesagt, er sei der einzige gewesen, der Bolan verstanden hatte. Bolan ersetzte ihn 1970 durch den ähnlich aussehenden Mickey Finn. Steve Took machte weiter im Hippieunderground, agierte wie der frühe Iggy Pop, spielte da und dort bei radikalen Bands (»Pink Fairies«) und starb 1980, als er sich bedrogt an einer Cocktailkirsche verschluckte. Vermutlich hatte er die Trennung von Bolan nie verwunden. In späten Interviews – es ist ein bisschen spooky, die sich im Internet anzuhören – redete er von sich und Bolan immer nur rückwärts: also »Koots Evets« und »Nalob Cram«.
Zusammen mit den Betreibern einer Steve-Took-Fan-Seite bemüht sich die TAG (T-Rex Action Group) darum, eine Gedenkbank neben sein Grab auf dem Londoner Kensal Green Cemetery zu stellen. Auf dieser Bank sollen die Worte stehen, die sich der Musiker für seinen Grabstein gewünscht hatte: »Steve Took Too Much«.
Dann Mickey Finn, ein Maler und Musiker, der aus dem mehr stylishen Umfeld der Hippieszene kam und 1974 von Bolan gefeuert wurde, als es mit T.Rex nicht mehr so lief. Danach kam er nicht mehr auf die Beine. Viel Drogen, viel Trinken. Nach einem Auftritt bei einem Gedenkkonzert zu Bolans 20sten Todestag, gründete er »Mickey Finn’s T.Rex« und tourte mit ihnen (Rolan Bolan war auch manchmal dabei) bis zu seinem Tod am 11. Januar 2003 durch die Welt, v.a. Deutschland und Japan. Ihren ersten Auftritt hatte die Band in der »Hanns-Martin-Schleyer-Halle«.
Mickey Finn gegen Ende seines Rockerlebens.
Mickey Finn’s T.Rex in der Berliner Waldbühne, Foto von Karoline Doil.
Die Reste von Mickey Finn’s T.Rex ohne Mickey Finn touren immer noch, um das zeitlose Liedgut neuen Generationen zu präsentieren. Außerdem gibt es mindestens fünf weitere T.Rex-Cover-Bands. (Außerdem gibt es noch eine andere seltsame Bedeutung von Mickey Finn, und eine sehr schöne Mickey-Finn-Fan-Seite von Karoline Doil mit tollen Fotos und einem wunderschönen Text über einen Besuch bei dem sympathischen Musiker.)
Am Rande Steve Currie, der Bassist, der 1980 ebenfalls bei einem Autounfall verstarb und Bolans langjähriger Freund und Förderer John Peel, der auf dem Tyrannosaurus Rex-Stück Frowning Atahuallpa eine Kindergeschichte von Bolan vorliest (!) und sich später weigerte Get it on im Radio zu spielen, weil’s ihm zu kommerziell war. Eine wichtige Randgeschichte, dass Bolans Frau Gloria Jones 1977 Tainted Love gesungen hatte, das Lied also, das in der Soft-Cell-Version zum größten Hit der 80er Jahre werden sollte. Marc Almond erzählt in seiner wunderbaren Autobiographie Tainted Life übrigens, dass er Bolan hinterhergerannt war und der sich geweigert hatte, ihm ein Autogramm zu geben. Noch weiter am Rande der Musiker Nicki Sudden, der eine Weile der Europasektion des Marc-Bolan-Fanclubs vorstand (und im letzten Jahr in New York verstarb).
Marc Bolan verkraftete sein Superstardasein nicht. Nach ’73 ging’s bergab. Klasse ist noch der völlig überorchestrierte Teenage Dream von 1974. Dann wurde er so fett wie der späte Elvis, trank und kokste wohl zuviel, erlitt 1975 einen Herzanfall, löste die Band kurzzeitig auf, erholte sich wieder, auch musikalisch, hatte eine TV-Show, verbündete sich mit Punk – »The Damned« traten als Vorgruppe von T.Rex auf – und starb kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag, am gleichen Tag übrigens wie Maria Callas.
Am Steuer des defekten roten Minis, der am Morgen des 16.9.77 in London gegen einen Baum knallte, hatte seine Frau Gloria Jones gesessen. Bolan, in dessen Werk Autos eine große Rolle gespielt hatten (Mustang Ford, Cadillac und der Rolls Royce aus Children of the revolution), hatte selbst nie fahren gelernt.
Im Zentrum des T.Rex-Komplexes steht der Baum. Am Anfang, denn auf dem ersten Tyrannosaurus Rex-Album My people were fair and had sky in their hair but now they’re contend to wear stars on their brows gibt es die programmatische Aussage: »I come from a time when the burning of trees was a crime«, die übrigens mehr oder weniger aus dem Herr der Ringe (die Rede des Tom Bombadil, der im Film nicht mehr vorkommt) entlehnt ist. Dann gibt es noch das Bolan-Zitat: »Our lives are merely trees of possibilities«. Und am Ende der Todesbaum. Die T.Rex-Action-Group (TAG) kümmert sich seit 1997 um den Erhalt des kranken Baumes. Auf ihrer Seite wird einleuchtend begründet, weshalb man dem Baum nicht die Schuld an Bolans Tod geben kann. Außerdem gibt es noch Seltsamkeiten. Zum Beispiel, dass Bolan bei seiner Frankreichtour im März 1977 sich wahrscheinlich ein Bild von Réné Magritte angeschaut hatte, das den Namen »16. September« trägt. Auf diesem Bild sieht man einen Baum und dahinter einen morgendlichen Mond. Der Mond auf dem Bild ist in der gleichen Phase wie der Mond am Morgen des 16.9.77. So kriegt alles seine obskure Bedeutung und korrespondiert dekonstruktivistisch miteinander und im Hintergrund läuft das großartige Tyrannosaurus Rex-Stück »In the light of the magical moon«.
Die letzte Single von Marc Bolan hieß Celebrate Summer. Man ist glücklich beim Wiederhören, dass das Stück eine so angenehm entspannte kleine Rock’n’Roll-Nummer ist.
PS: Trennung von Steve Took und Marc Bolan
Die eine Version war so: auf einer nicht so erfolgreichen US-Tournee 1970 begann Steve Took komische Sachen zu machen; sich während des Konzerts auszuziehen und mit einem Gürtel zu schlagen. Dann verpasste er glaube ich auch noch den Rückflug. Außerdem wollte der hervorragende Percussionist, dass mehr auch von seinem Material gespielt wird. Bolan wollte dann nichts mehr mit diesem komischen Drogen-Hippie zu tun haben und fand als Ersatz Mickey Finn, der so ähnlich aussah und es akzeptierte, die Nummer 2 zu sein. Im »Melody Maker« vom 8. Januar 1972 sagte Took:
»I found that people wanted me to be some sort of product« said Took. »I was a flower child, and there’s things that a flower child can’t do. Being a natural born rebel I wanted to do all the things I was not meant to do. That caused a lot of raps with the management, and a lot of raps with Marc. I couldn’t get together looking at all those kids, and if I went into a heavy rap Marc would get freaked out.«
…
folgender Text ist irgendwo auf der schönen Steve-Took-Fan-Seite von Fee Mercury Moon, die ihrerseits eine klasse T.Rex-Seite im Netz hat:
»In Rolling Stone Magazine (dated 16th September 1971) Bolan having been asked about his former partner’s whereabouts, replied:-
›Oh in a gutter somewhere (laughs)‹.
Two weeks later (30th September 1971) Frendz (eine englische Hippiezeitung) printed the following letter:
›Dear Marc,
I have just read a copy of Rolling Stone, and I don’t believe it. There is some really good Afghani around at the moment – I don’t believe that either.
Just thought I’d let you know that there’s an awful lot of people in this gutter – it’s the nicest one I’ve been in so far. Still, get it on – bang a gong if it keeps you happy.
Love and peace,
Up da revolushun,
Steve Took.
P.S. Are you really a coke freak?‹
Of course what Bolan’s new ›teenie bop‹ audience failed to grasp at the time was that Bolan had, himself lived in the same ›gutter‹ (Ladbroke Grove) during his Tyrannosaurus Rex years‘. Then it had been good enough for Bolan even if he preferred to forget that phase of his life once stardom arrived. Steve Took’s reply went largely unread by Bolan’s ›teenie bop‹ audience who generally neither read or even knew about underground magazines like Frendz preferring the mass produced ›teenie bop‹ magazines of which ›Jackie‹ reigned supreme.
Bolan biographer’s, coming as they did largely from the ›teenie bop‹ audience used sources they were aware of, and also sources which fitted the ›image‹ of Bolan they wished to preserve, so Took was dismissed as being in a ›gutter‹ and his letter of reply remained buried. It was reprinted in the #1 issue of the Pink Fairies Fanzine Kings of Oblivion edited by Paul Cox published as a limited edition run of just one hundred copies in 1976.
COINCIDENCE?
The date Rolling Stone was published was 16th September 1971. The date of Tookie’s reply in Frendz was 30th September. At the time there was no significance in 16th September although Tookie’s reply was published on Bolan’s twenty-fourth birthday!!! Even when the Kings of Oblivion fanzine was written in 1976 there was no significance to 16th September. But one year later it would become significant – as the day Bolan died. So of the three hundred and sixty five days in a year the »gutter« statement and its reply were published on the dates of Bolan’s birth and death. Just a coincidence? Up to you!
Up da revolushun Tookie!
P.S. Yes he was! (The truth is the truth even if some don’t like it!)
Fee Mercury Moon
November 2002«
(Fee Mercury Moon ist T.Rex-Expertin und macht eine Website zu Ehren von Steve Took)
s.a.: http://members.cox.net/dregenold/marc/marc.html
http://www.tilldawn.net/tomb.html
http://www.marc-bolan.org/
http://tag.mercurymoon.co.uk/ (meine Lieblings-T-Rex-Seite)
u.v.a.m.
Sonntag, 16.09.07
Tagsüber bei dem Naturforscher zu Besuch. Wir redeten über alles Mögliche.
Die sechziger Jahre, die RAF, bezeichnend, dass Aust seinen Film irgendwas mit »der Krieg der Bürgerkinder gegen« genannt hatte, der »Kronzeuge« sozusagen des Films aber Boock war, der ja kein Bürgerkind usw. und dass alle RAF-Gedenkenkberichterstatter (Männer!) Baader doof finden, weil er so einen Schlag bei Frauen hatte, wie man in den 50er Jahren gesagt hätte und was man sonst grad tue, um sich warm zu reden.
Und die 90er Jahre natürlich, wie er in Detroit gewesen war und »Mad Mike« getroffen hatte und dass Techno die einzige Musik gewesen sei, zu der Weiße und Schwarze zusammen getanzt hatten, dass er das Gleiche auch in Südafrika beobachtet hätte und dass Nancy von Bunker wegen ihres Buchs Die Tickerlady dann ja vier Jahre in den Knast gekommen wäre. »Echt? Glaub ich nicht.« »Doch!«
Das stimmte aber dann doch nicht. In der Berliner Zeitung vom 15.01.02 stand:
»Im Dezember hat Nancy von Bunker eine Ausbildung zur Feng-Shui-Beraterin abgeschlossen. Sie will sich selbstständig machen. Ins Gefängnis muss sie nicht. Das Schöffengericht verurteilte sie zu einem Jahr und acht Monaten Haft auf Bewährung. Es rechnet ihr an, dass sie gestand und die Taten sehr lange zurück lagen. ›Sie hat dieses Kapitel in ihrem Leben jetzt abgeschlossen‹, sagte ihr Verteidiger. Es gebe keine weiteren Verfahren mehr. Nancy von Bunker sprach immer noch nicht und guckte weiter bedrückt. So, als kann sie es nicht glauben.«
Dass es bislang noch keine 90er Jahre-Nostalgie gibt, obgleich die 90er Jahre so toll gewesen waren, spricht für die 90er Jahre.
Witzigerweise hatte der Naturforscher die Ausgabe der Zeitschrift Alltag auch noch da, in der ich vor zehn Jahren einen schonungslosen Enthüllungstext über mein Vierteljahr beim Spiegel veröffentlicht hatte. Das hat insofern mit der RAF zu tun, weil A mir danach gesagt hatte, wie mir B mitteilte, dass das ja ein reiner RAF-Text gewesen wäre.
Das stimmt aber gar nicht!
Ich freute mich aber, diesen Text wiederzusehen, weil ich ihn selber nicht mehr habe. Das Heft war irgendwie verschütt gegangen, die Festplatte von damals war gecrasht usw.
Ich guckte geradeaus
und dann nach unten. Wie in »Blow up« von Antonioni.
© Alle Fotos: Detlef Kuhlbrodt