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Ich war aufgewacht, es war vier Uhr morgens. Ich hatte eine Ibuprofen nachgeworfen und konnte nicht mehr einschlafen und saß rauchend im Bett mit dem Laptop, als die Nachricht von David Cassidys Tod kam. Mit dem irgendwie verfemten Superstar der 70er Jahre bin ich aufgewachsen, David Cassidy war mein Freund.
Ich ging zum Schreibtisch und drehte mir eine Zigarette und holte ein Glas Wasser und ging dann wieder in das warme Bett. Ich hörte How Can I be Sure und I am a Clown auf youtube, mit meinen Ohrstöpselkopfhörern, und dachte daran, wie oft ich vergeblich die Originalaufnahmen der beiden Lieder auf youtube gesucht hatte, weil ich sie gern hatte teilen wollen und auch das Anliegen unterstützen wollte, David Cassidy in die Rock’n Roll Hall of Fame aufzunehmen. Und dass Kai v. Kröcher, der Fotograf und ehemalige Chef vom Club49 neben dem Singer-Songwriter Graf Tati eigentlich der Einzige unter meinen Bekannten ist, der David Cassidy auch gut findet. Wenn wir uns sehen, sprechen wir oft über David Bowie, und ich hatte stolz erzählt, dass ich als Teeniebopper auch David Cassidy-Fan gewesen war und zwei berühmte Singles besitze. Und er hatte mir später die DVD der ersten Staffel der Partridge Familie geliehen
In der Bravo hatte gestanden, dass die Teniebopper – vor allem Mädchen zwischen 11 und 15 – als glühendste Fans von David Cassidy (David Bowie, Donny Osmond usw.) ihren Stars zu ihren großen Erfolgen verholfen hatten. Seltsam und geheimnisvoll sahen die Bildergeschichten der Konzerte aus. Zuvor war 12 nur ein Warteraum gewesen. Nun war ich Teeniebopper. Und verbreitete mein subkulturelles Wissen, dass die Teenagerzeit mit thirteen anfängt und dass man davor, also nach der Kindheit, Teeniebopper ist und über eine große Macht verfügt.
Eine Weile war ich ein großer Fan der Partridge Familie gewesen. Ich hatte jeder neuen Folge entgegengefiebert und wie hypnotisiert in den Schwarz-Weiß-Fernseher geguckt. Meiner Schwester gefiel die Serie auch gut. Sie ist Feministin, und die Partridge Familie hatte ein paar feministische Aspekte: die alleinerziehende und anfangs noch als Bankangestellte arbeitende Shirley Jones, die Stiefmutter von David Cassidy, fährt den hippiemäßig bemalten Tourbus, einen Chevrolet-Schulbus aus dem Jahre 1957 (eine Reminiszenz an die Magical Mystery Tour der Beatles, der später dann in einer Folge von Nightmare on Elms Street zitiert wird) mit der Inschrift Careful Nervous Mother Driving. In einer Folge wird sie von einer Frauenzeitschrift zur Mutter des Jahres gewählt. Und Laurie (Susan Dey), die Schwester von Keith Partridge (also David Cassidy), ist moderat feministisch, und Keith Partridge ist in der Folge My son, the Feminist auch Feminist. Jedenfalls hatte er einen Gig der Partridge Familie bei einer feministischen Veranstaltung zugesagt. Und darüber entwickeln sich dann verschiedene Verwicklungen. Und statt wie verlangt feministische Lieder zu singen, singt David Cassidy unter dem Label The Partridge Family seinen ersten Nummer-1-Hit I Ihink I Love You.
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Ich hatte mich amüsiert bei dieser Folge, und meine große Schwester hatte sich darüber aufgeregt, dass hier die feministische Bewegung verunglimpft würde. Was vielleicht auch ein bisschen stimmt, aber auch umgekehrt. Wir hatten jedenfalls in der Familie und später im Schwimmverein, in der Umkleidekabine, auch darüber diskutiert und vielleicht war ich in dieser Zeit zum wiseguy, zum Klugscheißer geworden, eine Position, die Danny Bonaduce, der jüngere Bruder in der Partridge Familie, innehat.
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Die insgesamt 96 Folgen der Partridge Familie wurden in den USA von 1970-1974 gezeigt. Die Serie war wahnsinnig erfolgreich und wurde weltweit verkauft. Sie hatte einen liberaldemokratischen Hippietouch, und die Folgen waren alle angenehm ähnlich: Irgendwo, an einem neuen Ort, hat die Familienband einen Auftritt. Am Auftrittsort gibt es Probleme. Zum Beispiel wurden versehentlich die Partridge Familie statt der Temptations gebucht oder es gibt Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Konflikte. Die Probleme werden demokratisch gelöst, und in jeder Folge gibt es zwei neue Lieder, meist harmonistisch, etwas seicht zwischen Beatles und Beach Boys, aber manches ist auch richtig groß oder seltsam campmäßig obskur.
Erst später erfuhr ich, dass in echt nur Shirley Jones und David Cassidy sangen, während die anderen fünf nur so taten als ob, und so richtig gesungen hatte Shirley Jones, die ehemalige Oscar-Gewinnerin, eigentlich auch nicht, aber das war nicht so wichtig. Mir gefiel das Ensemble so gut.
Die Partridge Familie zeigte eine gesellschaftliche Utopie, wie Tolkiens Auenland oder Pippi Langstrumpf ein paar Jahre früher.
Vielleicht war meine Mutter auch auf die Partridge Familie eifersüchtig gewesen.
Jedenfalls hatte sie jedes Mal zehn Minuten vor Ende der jeweiligen Episode zum Essen gerufen, und ich hatte darum gekämpft, die Partridge Familie zu Ende gucken zu können. Und es war alles ganz furchtbar angespannt gewesen. Ich hatte die Stimmung vergiftet und Theater gemacht und überhaupt nicht verstehen können, wieso wir nicht einfach zehn Minuten später zu Abend essen können.
Vermutlich hatten die Eltern noch Tagesschau sehen wollen.
Keine Ahnung, wie oder ob sich das dann später gelöst hatte.
Ich saß noch immer auf dem Bett und postete David-Cassidy-Hits auf Facebook, die niemand likte.
Ich hörte mir noch einmal How Can I be Sure und I am a Clown auf spotify an und heulte ein bisschen, weil die Tonqualität dort besser ist.
How Can I be Sure und I am a Clown gehörten zu meinen Lieblingsliedern, in dem ersten Jahr, in dem ich jeden Samstag Die Internationale Hitparade mit Wolf-Dieter Stubel hörte und mich in der Bravo über die Welt der Musik informierte und mich danach sehnte, wirklich, also ein richtiger Teenager zu werden.
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Ich erinnerte mich an die Ausgabe der Bravo, in der das Ende der Beatles bekanntgegeben worden war. In einem Sommerurlaub. Sie hatte meiner Schwester gehört, und ich hatte alles, was da stand, gierig gelesen und für bare Münze genommen und war furchtbar traurig gewesen, dass es die Beatles nicht mehr gibt. Die David-Cassidy-Covers von Please, Please Me und I Saw Her Standing There waren aber auch sehr gut und souverän und hielten die Beatles, die leider gestorben waren, noch ein bisschen am Leben.
Montagabends standen wir in der kleinen Sporthalle der Heinrich-Rantzau-Schule ums Trampolin herum. Ich war gerade ins Gymnasium gekommen, und es war ein bisschen komisch, wieder in der alten Schule zu sein. Ich stand neben einem älteren (also vermutlich 14-jährigen) Jugendlichen, von dem es hieß, dass er sich mit Musik auskannte. Weil ich an seinem Wissen interessiert war, hatte ich ihn mutig angesprochen und er hatte gefragt, was ich gut finde, und ich hatte geantwortet David Bowie, David Cassidy, T. Rex und die Beatles. Und war gespannt, was er zu meinen Helden sagen würde. Er war blues- und jazzorientiert und hatte David Bowie für einen Faker gehalten, aber Jean Genie ganz gut gefunden. Und David Cassidy sei eben vor allem ein gutaussehender Schauspieler, dessen Professionalität er aber anerkenne. Und den Puppy Song, der die Charts hinaufzuklettern begann, hielt er für gut gelungen. Johnny Cash dagegen in San Quentin – das wäre echtes Leben im Leben von echten Leuten.
Schauspieler war ein Schimpfwort, ich war aber ganz zufrieden mit unserem Gespräch. Erst auf dem Nachhauseweg fiel mir der Satz ein, den ich eigentlich hatte sagen wollen:
Wenn du das sagst mit den echten Leuten und Johnny Cash: Sind dann Teenager für dich keine Menschen?
Und danach machte ich mit dem alten Mixer ein tolles Getränk aus Nussnougatcreme, Pampelmusensaft und Milch. Das Rezept hatte ich aus der Zeitung Eltern. Es war in einem Bericht über Fitnessnahrung drin gewesen. Es schmeckt wahnsinnig gut und ist auch gesund und man kann damit auch Eis machen.
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Mit elf hatte ich David Cassidy zunächst als Außenseiter wahrgenommen, vermutlich auch, weil er so jung wirkte, ein älterer Bruder, der noch nicht erwachsen war. Aber man meinte auch, wie bei Bowie, in seiner Art eine frühere Verletzung zu spüren. Es wunderte einen nicht, als man später las, dass er von seinem Vater, dem Schauspieler Jack Cassidy, geschlagen worden war, dass sein Vater Alkoholiker gewesen war; dass David Cassidy bei seinen Großeltern aufgewachsen war.
I didn’t want to be famous. The ambition was really about doing something that make me the juices flow, sagt er später in einer Doku.
Auf dem Single-Foto von How Can I be Sure sieht er aus wie ein Junge, der aussieht wie ein Mädchen, auf so eine verletzliche Art nett, schön und unisexmäßig wie eigentlich überhaupt niemand anders in dieser Zeit. Aus dem Lied I am a Clown wusste man, dass er immer lächelte, auch wenn ihm nicht danach war. Ich konnte mich gut mit ihm identifizieren, seine Stimme war die eines Freundes.
Den ganzen Superstar-Wahnsinn um David Cassidy, das ganz adored & explored und wie er dann versuchte, das Bild zu zerstören, in dem er gefangen war wie Schneewittchen in ihrem Sarg, bekam man als 12-Jähriger im Herzen Schleswig-Holsteins eher häppchenweise über die Bravo mit.
Auch weil ein Drittel des Partridge Familie-Publikums aus Kindern bestand, die den 16-jährigen Keith Partridge verehrten, wurde es als skandalös empfunden, dass der 22-Jährige, 1972, in der Naked Lunch Box genannten Titelgeschichte im Fachmagazin Rolling Stone, über die Größe seines Penis und Sex mit Groupies sprach, von Drogen erzählte und der großen Belastung und schlechten Verträgen: Man versuchte den Goldesel auszupressen: auf 12-stündige Drehtage folgten nächtliche Plattenaufnahmen – für fünf LP’s unter seinem Label und zehn unter dem der Partridge Family und an Wochenenden gab er Konzerte. In einer Cassidy-Doku der BBC erzählt Alice Cooper, sie hätten sich gewundert, dass David Cassidy nach seinen Shows nicht mehr ausging, sondern nach Hause ging, weil er am nächsten Tag wieder arbeiten musste. David Cassidy erzählt also kurz vor dem Höhepunkt seiner Karriere: : I feel rotten, I look terrible. After a weekend of killing myself I have to show up and smile. I can’t handle it.
Er versuchte alles, um den netten Keith aus der Partridge Familie auszulöschen. Es war die erfolgreichste Rolling-Stone-Ausgabe bis zum Tod von John Lennon. Er hatte damit nicht viel neue, ältere, Fans gewinnen können; seine alten Fan folgten ihm aber weiter. Und ich freute mich, als mich der aktuelle David Cassidy schon nicht mehr interessierte, dass es eine Verbindung zwischen Burroughs und der Beat Generation und David Cassidy gab. Zwischen 1972 und 1974 war David Cassidy der erfolgreichste Soloact auf dem ganzen Planeten! Und gleichzeitig isoliert. Er hatte keine eigene Band, alle Männer hassten ihn als Poser und beneideten ihn. Das Bild seines Gesichts war überall präsent. Er konnte nicht rausgehen, weil ihn jeder kannte. Wie in dieser Geschichte aus 1001 Nacht hätte er sich als Frau verkleidet mal unters Volk gemischt, berichtete die Presse mit Bildern dieser Ausflüge. Und das hatte zu einer gewissen Unreife geführt, wie er später der Zeitung Daily Mail erzählt, und obwohl ich 24 war, war ich gefühlsmäßig wie 19. Ich hatte nicht gelebt; ich hatte mich dem Business von David Cassidy hingegeben, nicht der Person.
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Ich schaute oft dies Video von seinem Weekend in Wembley. An diesem Wochenende hatte er sechs ausverkaufte Konzerte gegeben. Ich liebe das Video sehr. Wahrscheinlich hatte ich es vor ein paar Jahren zuerst gesehen, aber mit dem Tod war es wirklicher geworden.
Eigentlich stellt es ein fundamentales Ungenügen und Ungleichgewicht dar. David Cassidy ist der Zuneigung, der Liebe, die ihm entgegenschlägt, nicht gewachsen oder er antwortet darauf, indem er sich zum Liebesobjekt macht, zu einem Wesen, das erst in der Liebe der Fans entsteht, die ihm entgegenschlägt und danach in sich zusammenfällt, weil es zu wenig Substanz in sich besitzt. Tatsächlich war das Kreischen seiner Fans irgendwann so laut geworden, dass es die Musik übertönt hatte und, wie in der ersten Folge des Computerspiels Prince of Persia gewinnt Cassidy, indem er alle Waffen streckt sozusagen und sich hingibt. Als Schauspieler.
Dann spielt er Rock Me Baby als Zugabe, verbeugt sich kurz und eilt sofort von der Bühne. Die Sicherheitsleute nehmen ihn in Empfang, haken ihn unter, bringen ihn zu einem Kleinlaster, wo er als Kostbarkeit, wie ein Baby, in viele Decken gewickelt wird. Liegend gibt er ein Interview, während draußen die Fans lärmen und gegen das Auto trommeln. Er wirkt tatsächlich wie ein 19-Jähriger, der erstaunt auf sich als Superstar guckt.
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Unter dem Video gibt es ein paar schöne Kommentare:
OMG what the hell did we do to him, this is quite sad now I’ve grown up, he looked scared to death, sorry David, still love you though, always have always will, my beautiful man.
It’s like a violent storm out there and he’s running for cover. Those girls are like ghouls from Night of the Living Dead and they’re beating on his van because they want a piece of his flesh. Scary!
Ich las verärgert ein paar herablassende Nachrufe und eine Passage aus dem mehr als 800seitigem Buch von Reynolds über Glam-Rock, in der es hieß: Auch hatten Leute wie Cassidy oder Donny Osmond kein Interesse an überstilisierten Looks oder Genderambiguität, die über den traditionellen feminin-hübschen Jungen hinausging.
Dafür hatte man sich als 13-jähriger David-Cassidy-Fan nicht als Schwuli beschimpfen lassen.
In fact I was a wild fucking maniac and banging every girl I could.
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Die Szenen auf den Konzerten der Welttournee ähnelten einander. Die Stadien waren schnell ausverkauft. Zweimal hintereinander spielte er vor 60.000 Leuten. Der Wahnsinn steigerte sich noch, als er 1974 bekannt gab, dass er nach dieser Tournee nicht mehr in Stadien spielen würde. Im gleichen Jahr endete auch sein Vertrag für die Partridge Familie.
Musikalisch hatte er sich weiterentwickelt. Er wirkte reifer und souveräner und nicht mehr ganz so mädchenhaft in seiner engen Latzhose, er hatte alles im Griff, die Begleitband war ähnlich gut und professionell wie die Begleitbands der späten Amy Winehouse.
Cassidy zeigte, dass er mit den Besten rocken konnte, präsentierte Klassiker von Elvis, Buffalo Springfield, Please, Please Me natürlich von den Beatles – ein maßgeschneiderter Hit. Puppy Song als Smash-Hit, eine entpathetisierte Version von I am a Clown.
Auf dem Live-Album Cassidy Live, dass 1975 erschien, und auf Videos von seinem Auftritt in Sidney, im März 1974, wird auch der Wahnsinn der Cassidymania deutlich.
Bei dem Konzert in Sydney drängt die Teenager-Flut Richtung Bühne, die Bühne wird beschädigt, weil Fans auf die Bühne wollen, es gibt eine Konzertunterbrechung, David Cassidy verlässt die Bühne. Ein Ansager bittet darum, sich hinzusetzen, Move Back. Further, Further und schließlich Move Further, otherwise David would be hurt. You don’t want David to get hurt, do you?
Nach der Unterbrechung spielt David Cassidy ein trotzig-triumphales Daydreamer. Ich hatte das Lied von 1973 in nicht besonders guter Erinnerung und lernte es erst jetzt richtig zu schätzen.
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Und dann das tragische Konzert am 26. Mai 1974 im White City Stadium in London, das zweitletzte Konzert seiner Welttournee. 650 Teenager verletzen sich im Gedränge vor der Bühne, 30 werden ins Krankenhaus gefahren, die 14-jährige Bernadette Wheelan erleidet eine Herzattacke und stirbt vier Tage nach dem Konzert. Ihr Tod wurde Cassidy angelastet.
She was simply the fan that we all once were, just as we are the fans that she should have grown up to become … the Not-unknown Soldier of ’70s rock and pop. Remember her, please, heißt es im Goldmine-Mag.
Der 24-jährige Superstar fühlte sich unschuldig schuldig, erklärte, keine Konzerte mehr zu geben und trat tatsächlich zehn Jahre nicht mehr auf.
Zwei Monate später, im Juli 1974, in der Sendung Good Night America trägt er kurze Shorts und Hawaihemd und wirkt ein bisschen so, als wenn er gleich sein Coming-out erklären würde. Er spricht von einem gemeinsamen Album mit David Bowie; mit Songs von Bowie und Lou Reed und dass die Aufnahmen vielleicht schon im nächsten Monat beginnen würden. Cassidy cancelte das Projekt später, weil er nicht bereit war, wieder auf Tournee zu gehen. Nach dem Studium der Akten im Internet hat man eher den Eindruck, dass ihn alle nun fallengelassen hatten. Bruce Johnston und Brian Wilson von den Beach Boys hatten wohl noch zu ihm gehalten, aber Wilson zumindest galt ja auch als verrückt.
In der Bravo gab es noch eine längere Foto-Homestory über die Zeit, die David Cassidy versteckt in einem Schloß in Frankreich verbrachte; ich las das am Zeitschriftenregal und kaufte dann den Kicker wegen Schalke, weiß aber auch nicht, ob ich mich richtig erinnere.
Eine Weile züchtete David Cassidy Pferde, das war befremdlich, und schnupfte wie die anderen Stars wahnsinnig viel Kokain, die drei Alben, die er 1975 und 1976 veröffentlichte, wurden gut aufgenommen. Er arbeitete wieder als Schauspieler; für seine Rolle in Police Story (1978, A Chance to Live) wurde er mit einem Emmy ausgezeichnet. Die folgende, von NBC produzierte Serie David Cassidy – Man Undercover floppte leider.
Anfang der Achtziger war er pleite. Er trank zu viel, meist mit sich alleine. Er machte fünf Jahre lang Therapie, um seine Vatergeschichten zu verarbeiten. Seine drei Ehen gingen in die Brüche. Mit seinem Halbbruder Shaun wirkte er in dem Musical Blood Brothers mit. 1985 hatte er ein Comeback mit dem Album Romance, auf dem Georges Michael im Hintergrund mitsingt. Und spricht immer wieder recht offen über sein Leben.
1994 – er sieht immer noch aus wie Mitte zwanzig – veröffentlicht er seine Geschichte unter dem Titel C’Mon, Get Happy: Fear and Loathing on the Partridge Family Bus. Das Buch beeindruckte durch Offenheit. Viele waren überrascht, wie broken und verpeilt der Superstar gewesen war. Manche fanden es auch exhibitionistisch, fies, indiskret oder bescheuert.
1996 zeigt NBC einen Spielfilm über das Leben von David Cassidy, eine familientaugliche Version des Buches sozusagen. In einer Szene sieht man den bösen Vater, der 1976 wie Ingeborg Bachmann gestorben war. Wie er, wahnsinnig geworden, gegen Ende seines Lebens zusammengekauert in der Zimmerecke hockt und in der Bibel liest und sagt: Jack Cassady and Jesus Christ. JC. JC. That can’t be a mere coincidence.
In einer anderen Szene singt der echte David Cassidy mit dem Schauspieler, der ihn darstellt (Andrew Kavovit), im Duett I Think I Love You.
Anfang der Nullerjahre bringt er ein Album – Then And Now – heraus, das in Großbritannien sehr erfolgreich ist. Er schauspielert in Las Vegas, in ein paar Show und Filmen. Tritt auf Charity-Veranstaltungen auf. Lange war er auch bei den Demokraten engagiert. 2007 erscheint seine erweiterte Autobiografie Could It Be Forever? My Story, die softer formuliert ist, als C’Mon.
2011 wird er als erster Teilnehmer bei einer von Trump geleiteten Promi-Big-Brother-Show rausgeschmissen. Er hat Alkoholprobleme. Mehrere Verfahren wegen Alkohol am Steuer. Seine dritte Ehe mit Sue Shifrin-Cassidy wird Anfang 2014 nach 23 Jahren geschieden. Anfang 2015 ist er bankrott. Anfang 2017 gibt er bekannt, an Demenz zu leiden.
Er tourt bis Anfang 2017.
Ich gucke mir ein paar Interviews an, in denen er über Alkoholismus und seine Demenzkrankheit spricht, und letzte Auftritte, wo er schon schwer angeschlagen ist und bewegende, auch selbstironische Reden hält, über Trump schimpft und sich bei seinem Publikum nach 49 Jahren auf der Bühne bedankt. Alles hat auch einen leicht alkoholikersentimentalen Touch, aber ist trotzdem … würdevoll .. und man ist am Ende froh, dass er den Ausgang findet. Aber das ist auch nur eine Sekunde. Und diese Szene, wo David Bowie in seinem Lazarus-Video im Wandschrank für immer verschwindet, verbindet sich mit der Szene, in der David Cassidy, nach einem letzten I Think I Love You seinen Drummer nach dem Ausgang fragt.
Vielleicht beobachte ich meinen Ex-Star wie ein Insektensammler; es gibt ja so viel Material, und so vieles spielt dann wieder fast noch in der Kindheit, und zwei drei Jahre hatte man ihn ja auch verleugnet; an manches erinnere ich mich; das Meiste ist neu. Er ist mir vertraut, ohne mir sympathisch zu sein. Es ist auch ein bisschen wie Knausgård-Lesen und berührt auch ähnliche Fragen, nur dass man die Suche selber gestaltet und vielleicht nicht nur aus Geiz – die berüchtigte Autobiografie C’mon … Fear and Loathing gabs in keiner Berliner Bibliothek und auf ebay hatte sie schon bei 16 € gelegen – einen halbblinden Fleck lässt.
Als ich die Website des Partridge-Family-Temples entdecke, freue ich mich; meinem totem Freund und Kollegen Harald Fricke noch einmal zu begegnen, und ich erinnerte mich daran, wie er mir vor mehr als zwanzig Jahren von diesem camp-obskuren Partridge-Family-Temple erzählt hatte, und nun konnte ich mir das auch im Internet betreten. Und freute mich irgendwie.
Mittlerweile kostet die berüchtigte Autobiografie C’mon … Fear and Loathing zwischen 150 und 345 € bei Amazon bzw. Ebay. Unter dem Stichwort David Cassidy-plus-irgendwas-Interessantes gibt es schrecklich viele von Automatenstimmen gesprochene, von Computerprogrammen vielleicht sogar geschriebene, Beiträge auf youtube.
In ihrer vor einer Woche erschienenen Autobiografie erzählt Samantha Fox, wie David Cassidy sie 1986 nach einem Fotoshooting sexuell belästigt habe und wie sie dem Star ihrer Jugend ihr Knie in die Eier gerammt habe und wie sie dann wieder am Tisch gesessen hätten, als wär nichts gewesen.
Ich bin froh, dass sie ihn bestraft hatte. Z sagt, den hatte vermutlich noch nie eine Frau abgewiesen. Als Ex-Fans des Nachtlebens kommt uns die Geschichte koksgestört vor. Sie hätten in einem Restaurant mit ihren Eltern gegessen und Cassidy sei ihr aufs Klo gefolgt und habe sie dort bedrängt.
Seine Mutter, die Broadwayschauspielerin Evelyn Ward, leidet viele Jahre an Alzheimer und stirbt 2012. Er wird zu einem der Sprecher der Alzheimer’s Foundation of America und spricht in Vortragsreisen über die Krankheit seiner Mutter.
I wanted to use my notoriety to put myself in a position to help others, sagte er in einem Gespräch mit AgingCare.com. I wanted to educate and tell my story.
Im Februar diesen Jahres vergisst er Liedzeilen bei Konzerten und wirkt ziemlich fertig. Nachdem ein Video von dem Auftritt im Netz veröffentlicht wurde, spricht er im Fernsehen über seine Demenz-Diagnose und gibt bekannt, nicht mehr aufzutreten.