Er gehört nicht zu den bekannten Sehenswürdigkeiten von Tokyo, der seltsame Nakagin Capsule Tower. Man findet ihn in der Nähe der Shimbashi Station, in Hörweite der ungleich berühmteren Ghibli-Uhr, um die sich zu bestimmten Stunden Trauben begeisterter Touristen bilden.
Mit Waschmaschinen behängte Zwillingstürme. Jede dieser Waschmaschinen ist eine vollständige Wohnung, auch innen würfelförmig, mit einem einzigen, nicht zu öffnenden Bullaugenfenster. Von außen sieht man, dass in einigen der winzigen Wohnungen der Müll meterhoch steht.
Es wohnen immer noch Menschen darin. Der Portier lässt deshalb keine Besucher ins Gebäude. »Private!«, sagt er und deutet an, man möge das Gebäude schleunigst wieder verlassen. Den (gelogenen) Hinweis, man sei ein »student of architecture from Austria« und wolle sich nur kurz im Treppenhaus umsehen, wedelt er auch beiseite, er hat sich vermutlich schon genug sonderbare Begründungen anhören müssen. Dem enttäuschten Besucher bleibt nur übrig, um das Gebäude herumzugehen. An der Seite gibt es eine kleine Einfahrt, wo eine für die Bewohner des Hauses reservierte Dusche installiert ist. Und ein Hintereingang existiert auch. Aber man will ja nicht verhaftet werden.
Der Kapselturm wurde in den siebziger Jahren vom Architekten Kisho Kurokawa erbaut, der einer Strömung mit dem beinahe parodistisch anmutenden Namen »Metabolismus« angehörte. Der Nakagin Capsule Tower ist eines der wenigen erhaltenen Gebäude dieser Bewegung. Kurokawas Idee bestand darin, kleine, kompakte abnehm- und wieder anbringbare Wohneinheiten zu schaffen, die im Prinzip überallhin gehängt werden können. Wenn man vom Leben am Nakagin Tower genug hätte, könnte man seinen Wohnwürfel auf die Ladefläche eines Lastwagens packen und an einen anderen Ort bringen lassen.
Aber leider ging Kurokawas Vision nicht auf. Heute verfallen die Würfel, nur in manchen gibt es noch Anzeichen von Leben, etwa an die Fensterscheibe geklebtes Zeitungspapier. Fast unerträglich ist das Bedürfnis, zumindest einen dieser Würfel zu betreten! Aber vermutlich muss man in der Nacht wiederkommen und seine Urban-Explorer-Superheldenidentität hervorkramen. Auf Youtube gibt es einige Dokumentationen, die das minimale Innere der Wohnwürfel zeigen. Ausklappbare Arbeitsfläche, ausklappbares Waschbecken, überhaupt alles ausklappbar. Ein Bett für einen Menschen, oder zwei sehr dünne. Sogar ein winziges Badezimmer, allerdings ohne heißes Wasser.
Das am Ende dieser architektonischen Idee stehende Prinzip wären natürlich auf Schienen und Seilen selbständig dahingleitende Würfel. Raumkapseln, die quer durch die Stadt steuern. Wenn man es an einer Stelle nicht mehr aushält, lässt man sich eine Route vorschlagen und fährt los. Bei einigen tausend Kapseln wäre diese Aufgabe zu schwierig für Menschen, aber wir haben ja Computer, die könnten das. Ohne mit anderen gerade transferierenden Kapseln zu kollidieren, würde man durch die Nacht bewegt … Ach, es ist traurig, denn das wäre wirklich machbar, und dieses alte, schon seit Jahren am Rande des Abrisses stehende Gebäude hier ist so nahe an dieser Vision! Metallstreben an tragfähigen Gerüsten, die als Leitschienen fungieren! Die draußen vorbeiziehende Stadt! Die wechselnden Nachbarn! Wohn-Tetris! Ich sehe alles vor mir. Und wer länger an einem Ort hängen bleibt, muss weniger Miete bezahlen; so beugt man einem unzufriedenen Staugewusel ruheloser Kapseln vor.