PROSANOVA 2020 ist ein Festival für junge Literatur, das seit seiner Gründung 2005 alle drei Jahre in Hildesheim stattfindet, dieses Jahr vom 11. bis 14. Juni – im Internet. Veranstaltet wird es von den Herausgeber*innen der BELLA triste, Unterstützung bei der Planung und Durchführung erhalten sie von Studierenden des Fachbereichs 2 der Universität Hildesheim. PROSANOVA begreift sich als Plattform für junge Literatur – deren Förderung und Verbreitung. Carla Hegnon, Teil der diesjährigen künstlerischen Leitung, berichtet hier von den Vorbereitungen.
Alles lief wie geschmiert.
Vor eineinhalb Jahren fanden wir uns, sechs Frauen*, im BELLA triste-Büro wieder, lernten uns kennen und wussten, dass wir zusammen das diesjährige Festival organisieren und kuratieren werden.
Vorsicht: zerbrechlich!
Seit März ist alles anders. PROSANOVA 2020 findet trotzdem statt – und zwar im Netz. Zwei Wochen waren wir wie auf Pause. Gedenkzeit und Kraft tanken, um neue, andere Wege zu suchen. Eigene Beweggründe unserer Entscheidung, ein Festival zu organisieren, hinterfragten wir, weil sie sich bei einer digitalen Festivalausgabe nicht einlösen werden. Grund genug, PROSANOVA trotzdem zu veranstalten, sind die eingeladenen Autor*innen, unser investiertes Herzblut und ebenso die finanzielle Dimension der vielen ausfallenden Veranstaltungen und damit Honorare für freischaffende Künstler*innen. Unsere Förder*innen, über die sich das Festival zum größten Teil finanziert, bewilligen uns weiterhin die zugesagten Summen. Das ist gut, weil wir uns zu Beginn der Organisationsarbeit darauf einigten, dass wir kulturelle und künstlerische Arbeit nicht als Ehrenamt, Luxus, Spaß oder idealistischen Akt verstehen, sondern unsere Künstler*innen angemessen entlohnen wollen. Wir möchten die Arbeit aller Beteiligten mit einem Honorar wertschätzen.
Zersplitterte Vision.
Wir wollten zusammen hämmern und schleifen und ölen, bis es glänzt. Schwitzen in der Sommersonne. Gemeinsam fluchen, wenn etwas nicht klappt, und staunen, wie der Kosmos PROSANOVA langsam entsteht. Jetzt finden wir uns stattdessen zweimal die Woche bei Zoom zusammen und besprechen in zunächst zähen, mittlerweile routinierten Treffen unser Vorgehen. Anfang März haben wir uns zuletzt richtig gesehen, gemeinsames Abhängen und Quatsch-Reden fehlen uns. Distanz lässt Meta-Gespräche über Kommunikations- und Organisationsabläufe schwerfallen. Das Wir-Gefühl, wenn alle allein vor dem Laptop sitzen, nicht zu verlieren, ist herausfordernd, aber nötig. Nur als Team bewältigen wir die Arbeit, die auch ein digitales PROSANOVA mit sich bringt.
Statt rauem Kiefernholz kaufen wir einwandfreie Technik.
Wie machen wir radikale softness spürbar, wenn der Raum nicht mit Teppichen ausgekleidet ist? In kürzester Zeit wurden wir zu Übersetzer*innen unserer analogen Visionen. Die vielen Livestreams einiger Kulturinstitutionen finden wir wertvoll und unterstützenswert. Gleichzeitig möchten wir die PROSANOVA-Tradition weiterführen, mit ausgefallenen, an den jeweiligen Text angepassten Lesungsformaten zu arbeiten, sofern es nun in der Kürze der Zeit möglich ist, anstatt uns lediglich in die Reihe der Livestreams einzuordnen. Unsere Antwort: Technik statt Holz einkaufen.
Feilen und schleifen, bis der digitale Festivalraum glänzt.
Es warten abseits des bekannten Wasserglases Tutorials, Workshops, Podcasts und Höranleitungen, Live-writing-Dokumente und schreibendes Publikum, Telefonanrufe, Radio und viel mehr. PROSANOVA 2020 ist der Versuch, auf unserer geschmeidig laufenden Festivalplattform unter die kühle Benutzeroberfläche zu schlüpfen und gemeinsam auf Literatur zu blicken, die aufwühlt und Reaktion erzeugt, und auf solche, der man* nur nachspüren möchte.
Sleek, aber nicht oberflächlich.
Mit unserem kuratierten Festivalprogramm folgen wir der Frage, wo sich in der heutigen deutschsprachigen Literatur Widerstände finden lassen. Wo wehrt sich die Sprache gegen geschmeidige Lektüre – wohin geht die Sprache? Wir untersuchen unsaubere Texte, spoken word, Texte, die einen stolpern lassen, Protagonist*innen, die unzuverlässig sind und sich einer Vereinnahmung durch Sympathie oder automatisierte Lektüre widersetzen. Wir stürzen uns aber auch auf Texte, die wie ein Feed funktionieren und sich virtuos zwischen hochkulturellen Codes, Instagram-Ästhetik und wissenschaftlicher Form hin und her bewegen: Glätte erzeugen. Wohin geht die Form, wie verstehen unsere Autor*innen die ominöse Formulierung, dass »ein Text funktioniert«? Und wie finden politische Veränderungen (zum Beispiel gendergerechte Sprache) ihren Weg bis in die (Oberflächen-)Strukturen eines Textes? Bildet die Literatur bereits ab, dass viele Menschen im Land auch andere Sprachen sprechen? »Glätte und Reibung« stellt uns auch vor die Frage nach möglichen Rollen und dem Auftrag von Literatur: Ist die Arbeit der aufstrebenden Autor*innen vom Gefühl geprägt, dass Literatur einen Auftrag hat? Wogen glätten und den Blick weiten oder mitstreiten? Die mitstreitenden Autor*innen schreiben laut Online-Feuilleton allesamt nur noch »Diskursbeiträge« und »Bücher der Stunde«. Wie sieht dann die echte, nachhaltige literarische Intervention aus? In ungewöhnlichen Festivalformaten suchen wir nach mehr als einer Antwort, nach einer Vielheit von Positionen, nach einem Multilog. Bei alldem ist uns wichtig, diskriminierungssensibel zu arbeiten und Awareness mitzudenken.
Wenn sich Schorf über die Sache gebildet hat.
PROSANOVA 2020 ist anders, als es 2017 war und 2023 sein wird. Es ist keine Revolution des Literaturfestivals, so wie alle aus der Situation entwickelten Formate das physische Beisammensein und gemeinschaftliche Erleben von Kultur nicht ersetzen können. Ich bin gespannt, was sich aus der Corona-Zeit etablieren wird und welche Alternativen verebben. Vielleicht finden sich beim nächsten PROSANOVA Gedanken wieder, vielleicht ist drei Jahre später auch vieles schon selbstverständlich. Wir sind gespannt.