Es regnet morgens, es regnet nachmittags, nach zwei Tagen warmer Sonne zwei Tage Mordsregen, Mitte April vier Grad, die Bäume vorm Haus knospen seit vorgestern, an jedem Baumstamm ein in den Rasen gestecktes Schild, ›für Hunde verboten‹ … auf der Straße ein kleines Auto mit hinten schräg herauswachsender, meterlanger Red-Bull-Blechbüchse, nebenan auf dem Dach des universitätseigenen Fitnesscenters asiatische US-Studenten bei einer verrenkten Art Tennis, sehr junge andere Studenten joggen auf violetten, um die sechs Tennisplätze herumgeführten Bahnen in einer für Amerikas Zukunft besorgniserregenden Körperhaltung – aber sie tun es. In der 6 E übt ein Mädchen oder eine junge Frau wieder Klavierstücke, der Vater sagt, die Tochter besucht ein ›serious‹ Konservatorium, Prokofjew, Romeo und Julia, schwierig, schwierig, ja, die seriöse Kunst, der Sound, das Wetter verringern die Betriebsamkeit, Zeit für …
Doch wie schreibt einer, auch noch erstmals, einen Blogbeitrag? Atemlos, wie angedeutet, oder wie einen Zeitungstext, vielleicht sich vernerdet gebend oder im small talk mit pointensprühender Tendenz zu noch smallerem talk, verfasst in, auf oder für einen Unterhaltungsblog, als Pulp Essay oder besser mit traditionellem Ansatz … ›Erste Eindrücke in New York auf den zweiten Blick‹ … literarisch also? Doch Vorsicht, alter Bauchredner, Blogs werden für die Ewigkeit geschrieben … Nach zwei Stunden klaviermusikunterlegten, verantwortungsvollen Überlegens ist klar – ich werde die Sache so ernsthaft wie möglich auf die leichte Schulter nehmen!
Der erste Eindruck auf amerikanischem Boden bestand aus zwei Aspekten. Zum einen war die Einreisehalle mit irrwitzig langen, serpentinenartig aufgereihten Menschenschlangen überfüllt wie einst Ellis Island, zum anderen bahnte sich durch die Wartenden hindurch eine würdig schreitende, stumme Prozession ihren Weg. Ein aus zehn, zwölf Polizisten bestehender Kordon sicherte zwei schwer einzuordnende, arabisch, nordafrikanisch, aber auch panamerikanisch aussehende, schlabbrige Jogginganzüge tragende Männer in Handschellen, die langsam zu einem Fahrstuhl geschoben wurden – so einen traurigen, ja zu Tode betrübten Gesichtsausdruck wie den dieser beiden, ob gefährlicher oder nur blinder Passagiere hatte ich lange nicht gesehen. Der Anblick wirkte, auch der von meinem Schreibtisch aus: die über den auf der anderen Seite stehenden Häusern von Norden nach Süden einschwebenden Flugzeuge fliegen in meinen Augen nach wie vor zielsicher direkt in die nur Sekunden entfernten Türme des World Trade Center …
Die still verharrende Schlange im JFK-Flughafen schätzten wir – zwei im Flugzeug kennengelernte Männer und ich – auf drei bis vier Stunden Zeitaufwand. Die beiden führen eine Neuköllner PR- und Eventfirma namens Papa, Mama und noch etwas, schon schräg genug und mehr: Sie hatten den Vertrag für den weltweiten Werbeetat einer vergleichbaren, großen New Yorker Firma im Sack bzw. im ständig gescrollten Laptop für die Abschlussverhandlung … Einem der beiden, mit Frau und Kind unterwegs, wurde die Wartezeit zu lang. Heftig gestikulierend zeigte er einem security-man die Tasche mit Babyspielzeug, und zack spazierten wir drei unangetastet durch alle Sperren … Wie einfach, dachte ich, Terrorismus ist möglich. Und welche Manager seien die besseren, die deutschen oder die amerikanischen? Kommt drauf an, sagte er, so geht’s jedenfalls nicht.
Nach der Einreise im Fernfliegerterminal folgt ein langer Gang, der mir seit meiner ersten Ankunft hier vor über vierzig Jahren bekannt ist. Den erst vor einigen Tagen hier gesehenen Bilderschmuck – vermutlich touristische Foto-Poster – hab ich vergessen, den damaligen nicht: Alles gültige Geld der Welt hing an den Wänden, in übersichtlichen Schaukästen befanden sich hinter Glas die Münzen und Scheine eines jeden zu dem Zeitpunkt existierenden Staates, eine sinnvolle, sauber gemachte Ausstellung, da wusste jeder gerade gelandete Passagier, um was es in diesem Land geht. Heute ist es mit dem bunten Geld, vor allem dem ›greenback‹, nicht mehr so einfach. Einen Hunderter nimmt niemand an, bei einem Fünfziger kommen ein, zwei Kontrollpersonen zur Supermarktkasse geeilt, fummeln und riechen ausgiebig an dem Schein, kucken ihn und den wartenden Kunden an wie Falschgeld – das gute, alte Bare stirbt aus, es leben die Kredit-, Rabatt-, Kunden-, Mitglieds-, Freundschafts- und digital aufladbaren Metro- und Waschmaschinen-Karten. Glücklich ist, wer vergisst, wie scheißteuer dieses Land geworden ist …
© Alle Fotos: Ute Döring