Grenzwertig: Nach 23 Gramm die zweite kurze Geschichte, die es nicht mehr in den Erzählband Surabaya Gold geschafft hat, obwohl sie dort hineingehört.
In der persischen Hochkultur des 11./12. Jahrhunderts wurden Streitgespräche traditionell in Vierzeilern geführt – auch über den bis in unsere Gegenwart andauernden wirkungsspezifischen Vergleich zwischen Haschisch und Wein. In der folgenden Wechselrede über deren Vor- und Nachteile unterhalten sich die berühmte Hetäre und Dichterin Mahsati, ihr Geliebter Amir Ahmad und ein 60jähriger Wanderderwisch. Das Paar bietet ihm Wein an, er lehnt ab und spricht diesen Vierzeiler.
»Vom Haschisch wird der Peniskopf gleich dem Amboss;
wie er auch sei – er wird zweimal so groß.
Jeder Feueranbeter und Jude und Armenier wird sogleich
aus Wohlbehagen ein Moslem, nachdem er Haschisch genoss.«
Was der Wanderderwisch hier von sich gibt, ist am Anfang für manche eine erfreuliche, im Folgenden jedoch für andere eine weniger erfreuliche Aussage. Nun mischt sich die schöne Mahsati mit den folgenden Versen ein.
»Der Weintrinker, ist er auch reich, sein Gut wird verschwinden,
in Wirrnis und Aufruhr wird all das Seine er finden.
Doch gieße ich mir von diesem Smaragdwein in die Kehle,
damit der Viper meines Grams das Aug’ soll erblinden.«
Amir Ahmad macht ihr ein Kompliment über die Schönheit ihres »engen Mundes voll Haschisch«, während Mahsati ihn, den Sohn eines islamischen Geistlichen, verspottet, dass er aus Furcht vor dem Vater nicht wage, Wein zu trinken. Amir verteidigt sich.
»Ich ziehe das Hanfkorn dem Goldkorn selbst vor,
auch der schwarzen Locke ziehe ich’s vor.
Ich halte jeden für eines Esels Arschmitte,
der sich unser Hanfkorn zur Lust nicht erkor.«
Mahsati verbindet in ihrer Erwiderung den traditionellen Fatalismus des Orients mit praktischer Lebensklugheit.
»Durch das Essen von Haschisch wird der Verstand nicht vermehrt,
und nicht anders wird vom Nichtessen die Welt und ihr Wert.
Gegen Traurigkeit hilft es, davon ein wenig zu essen;
doch esse keiner sich voll, damit ihn nicht Frechheit versehrt.«
Nachdem Amir Ahmad einräumt, »wer zu viel isst, in Blödheit zerschellt«, seiner Geliebten also grosso modo zustimmt, beendet Mahsati den Wettstreit zwischen Haschisch und Wein. Sie wusste damals bereits, dass beide Substanzen der metaphysischen Sehnsucht des Menschen entgegenkommen und dass jede Droge eine helle und eine dunkle Seite hat. Mit ihrem letzten Vierzeiler findet sie zu einem ultimativen Vorschlag.
»Damit du nicht glaubst, Haschisch sei unterlegen dem Wein,
nimmst mit dem Haschisch den Rosenwein im Verein!
Die Edelsteinmine ist dieser, und jenes die Hefe des Denkens;
Noch besser ist des Haschischs Erde als das Blut vom Wein.«
Für den Hinweis auf diese Wechselreden danke ich Herrn Professor Fritz Meier, Basel.
PS: Meine zwei gegenwärtigen persischen Freundinnen erreichen ihr Wohlbefinden auf andere Weise. Roya schwört zurzeit auf die Ganzkörper-Kältetherapie (Eiskammer, bis zu minus 120 Grad), Tannaz liebt seit langem die französische Küche. Beide leben seit mehr als 25 Jahren in Berlin-Schöneberg.