Als der junge Mann die gläserne Halle zu Leipzig mit dem Wunsch betritt, akkreditiert zu werden, landen drei Schwäne auf dem Messesee, dass Kreise sich auf der Oberfläche des Wassers ausbreiten. Es ist seine dritte Leipziger Buchmesse, aber die erste, bei der er nicht nur in einer oder zwei, sondern in drei unterschiedlichen Funktionen zu Gast ist. Einmal als nachdenklicher Praktikant, einmal als Herausgeber einer Zeitschrift für junge Literatur mit melancholischem Namen und einmal als Nachwuchsautor, der den ehrlichen, aber narzisstischen Wunsch in sich trägt, der berühmteste Schriftsteller des Planeten zu werden.
»Die Buchmesse«, denkt er in seiner Funktion als nachdenklicher Praktikant, »ist ein unmöglicher Ort.« Er kratzt sich am Kinn. »Obwohl es ganz offensichtlich ist, dass ein Messekomplex vorhanden ist, der die Buchmesse beherbergt, dessen Herzstück über eine gläserne Kuppel verfügt, durch die man den Himmel sehen kann, der bewölkt ist, und unter der sich Tausende Menschen versammeln, und obwohl es ebenso offensichtlich ist, dass Hallen vorhanden sind und in diesen Hallen Stände stehen und an den Ständen echte Menschen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Verlagen, die interessierte Kunden beiseite ziehen und sie davon zu überzeugen versuchen, keinen Schritt weiter zu gehen, um in einem der Bücher, deren Vorhandensein kein bisschen weniger offensichtlich ist, zu blättern«, setzt der nachdenkliche Praktikant seinen Gedankengang fort, »kann nicht mit endgültiger Sicherheit festgestellt werden, dass es die Buchmesse gibt.« Zufrieden, dass er einen so schönen Satz gedacht hat, den er vielleicht für einen Text wird verwenden können, geht er weiter. Er betritt die Mangahalle und dreht nach dem Bezahlen von einer Ein-Euro-Münze mit heftigem Schwung am Glücksrad. Er gewinnt ein goldenes Amulett, in dessen Mitte ein roter Kristall aus Hartplastik eingelassen ist. Es zeigt ein Auge. Nachdenklich hängt sich der Praktikant das Amulett um den Hals.
»Das, was die Buchmesse bestimmt, ist das Verhältnis des Innendrin zum Drumherum«, denkt der nachdenkliche Praktikant, verfolgt den Gedankengang aber nicht weiter, weil er von einem anderen Gedankengang unterbrochen wird, der die Frage zum Gegenstand hat: »Auf welche Party soll ich heute nur gehen.« Er fragt seine Freunde, die nicht minder nachdenklich sind. Sie sagen »Party der jungen Verlage« und rollen dabei das »r«. Er macht das Standbein zum Tanzbein und schwingt es von hinten nach vorne. Dadurch verliert er den Halt und fällt um. Ein Herr, der seinen Lebensunterhalt mit dem Verlegen von Büchern bestreitet, hilft ihm hoch. »Aha. Ein Verleger«, denkt der nachdenkliche Praktikant, der eine Chance wittert, und bewirbt sich bei dem Herrn um ein Volontariat. »Ich kann nicht in Worte fassen«, sagt der nachdenkliche Praktikant, der das Verlagsprogramm des Verlegers nicht kennt, »was ich für die aus Ihrem Verlagshaus stammenden Bücher empfinde.« Der Verleger, der kein Verleger, sondern ein als Verleger verkleideter Cosplayer ist, lächelt und reicht ihm eine Visitenkarte, deren Hinterseite ein Auge zeigt, das dem Auge des Amuletts, das der Praktikant um den Hals trägt, auffallend ähnelt.
In dieser Nacht träumt der nachdenkliche Praktikant von einer geleeartig wabernden Masse, die grün ist und halbtransparent, ähnlich wie Flubber, nur größer, oder Slimer aus Ghostbusters und Ghostbusters II, und weil der nachdenkliche Praktikant im Traum eine Stimme hört, die »Literaturbetrieb« sagt, weiß er instinktiv, dass die wabernde Masse, von der er träumt, nichts Geringeres als der Literaturbetrieb ist. Die neben ihm liegende Frau träumt von Liliputanern. Mit dem Zeigefinger der linken Hand berührt er die Frau an der Schulter, um sich zu vergewissern, dass sie echt ist. Dann streicht er ihr schüchtern eine Haarsträhne hinters Ohr.
Nach einem Blick in seinen Kalender stellt der nachdenkliche Praktikant in seiner Funktion als Nachwuchsautor plötzlich fest: »Oh Gott, es ist Samstagabend geworden.« Das bedeutet: Er hat einen Text vorzutragen. Weil er gelesen hat, dass zu viel Professionalität beim Vortragen eines Textes unprofessionell wirkt, betont er jedes vierte Wort falsch. Das kommt bei den Zuhörerinnen und Zuhörern gut an. Sie nennen den nachdenklichen Praktikanten »einen großen Sprachkünstler«.
Es muss die Euphorie sein, die den sonst eher melancholisch gestimmten Praktikanten am nächsten Tag nach Verlassen des Messegeländes dazu bringt, sich in den Messesee zu stürzen, weil er den Kopf eines Jungen im Wasser auf- und abtauchen sieht. Am Ufer rennen Menschen aufgeregt hin und her. Als er die Kinderhand endlich zu fassen bekommt, schluckt der Praktikant große Mengen Wasser. Der Junge schwimmt weinend ans Ufer. Der nachdenkliche Praktikant ertrinkt. Nach Eintreten seines Todes landen drei Schwäne auf dem Wasser. »Ich bin der Tod«, sagt der erste, »ich bin die Freude«, der zweite, während der dritte seinen Kopf unter Wasser taucht und den Körper des Praktikanten, dessen Gesicht aussieht, als denke er nach, an die Oberfläche zieht. Sie picken das Amulett von seiner Brust, und der Schwan, der sich als »die Freude« vorgestellt hat, trägt es hoch in den Himmel. In den letzten Sonnenstrahlen des letzten Buchmessetages leuchtet das Auge rot über Leipzig.