Als endgültig klar war, dass wir an dem Ort bleiben, an dem wir jetzt wohnen, fing ich an, die Bücherregale zu planen. Ich arbeite gern mit den Händen, weil ich sonst zu viel Zeit in meinem Kopf verbringe. Ich liebe Holz, weil es gut riecht, sich gut anfühlt und selbst dem nachlässigsten Heimwerker (mir) fast alles verzeiht. Und ich denke mir gern Sachen aus, die mich bei der Umsetzung heillos überfordern.
Ich plante zwei Regale. Eins für die Comics. Das ging ziemlich schnell. Ich besorgte und strich die Teile an zwei Tagen, am dritten fügte ich alles zu einem Möbel zusammen, das knapp eins sechzig hoch und drei Meter breit ist und sich nicht mehr bewegen ließ. Um das Ungetüm die anderthalb Meter an seinen Platz zu bekommen, musste ich noch einmal zum Baumarkt und zwei »Hunde« besorgen. Kenner wissen, dass sich hinter diesem vielversprechenden Namen nur ein Brett mit Rollen verbirgt. Sollten Sie selbst einmal überlegen, in einen Hund zu investieren, achten Sie darauf, dass die Oberfläche gummiert ist, sonst rutscht das Möbel, statt herumzufahren. Schon beim Einräumen der Comics merkte ich, dass das Regal viel zu klein war.
Und dann war da das Regal für die anderen Bücher. Also erst mal waren da ein Plan und der Blick meiner Frau Friederike, als ich sagte, ich müsse mir dafür wohl eine Woche Urlaub nehmen. Dazu müssen Sie wissen, dass ein Projekt, das ein oder zwei Tage dauern soll, bei mir etwa eine Woche braucht. Zum Beispiel habe ich einmal aus Versehen ein paar Tausend Kilo Erde in unserem Auto von einem Ort zum anderen fahren müssen. Wussten Sie, dass die Nutzlast eines Autos bei nur drei- bis vierhundert Kilo liegt?
Wie lang also würde ein Projekt dauern, für das ich eine Woche Urlaub nehmen wollte? Ich verrate es Ihnen: drei Wochen, also in Wahrheit knapp sechs.
Wie gesagt, ich neige dazu, mich in Dinge zu stürzen, deren Ausmaße ich nicht absehen kann, bis ich mittendrin bin und von Problem zu Problem irre. So mache ich es übrigens auch beim Schreiben.
Ich schilderte Friederike also in den schönsten Farben unseren zukünftigen Bücherstauraum im Flur. Er würde grau sein, sagte ich, als würde ich sagen, er würde komplett aus Gold bestehen. Grau! Genauso grau wie die Treppe! Ich betonte das so, weil ich weiß, dass Friederike es liebt, wenn die Dinge ein bisschen zu gut zusammenpassen. Ich selbst hätte lieber ein opatreckergrünes oder ein ochsenblutrotes Bücherregal gehabt. Aber wer Träume hat, muss kompromissbereit sein. Zumindest ich. Zumindest bei uns. Zumindest, wenn ich kiloweise Holz in unser Haus schaffe.
Im Flur, erklärte ich Friederike dann etwas leiser und schneller weiter, würde es über Eck und zwei Türen hinweg verlaufen, vom Boden bis unter die etwas mehr als drei Meter hohe Decke. Mehr als 30 Regalmeter, grinste ich und musste ihr dabei ziemlich behämmert vorgekommen sein. Ich wiederholte: Mehr als 30 Regalmeter! Und ich muss sagen: Ich war ein wenig von mir selbst beeindruckt. Sie nicht. Ihr Blick bestätigte: behämmert. Genug Platz, sagte ich noch, um die besten, schönsten, wichtigsten Bücher zu behalten, zu wenig Platz, um nicht weiterhin regelmäßig die weniger guten, schönen und wichtigen auszusortieren. Auch das betonte ich, weil ich manchmal glaube, dass Friederike das Aussortieren noch ein wenig mehr liebt als mich.
Der Bau wurde jedenfalls ein wunderschönes Chaos. Unter Einsatz meines Führerscheins transportierte ich in der ersten Fuhre etwa dreieinhalb Meter lange Bretter nach Hause. Im Freien strich ich das Holz grau, bis ich mich fragte, ob ich nicht möglicherweise wirklich total behämmert bin. Ich brachte dicke Bretter an der Wand an, passte gewissenhaft mit Zollstock, Bleistift und Wasserwaage Regalmeter um Regalmeter ein, die dann trotzdem nicht oder nur gerade so passten. Sie können sich gar nicht vorstellen, was alles schiefgelaufen ist und wie viel Spaß mir das gemacht hat.
Was ich eigentlich sagen will: Irgendwann, als ich kapiert hatte, dass es niemals möglich ist, dieses Regal in einer Woche Urlaub zu errichten, passierte etwas sehr Schönes. Irgendwann bemerkte ich, dass ich gar kein Heimwerker mehr war. Stattdessen wurden meine Werkzeuge und ich zu einer Art Erzähler, das Holz und das Bauen wurden meine Mittel: Bilder, Motive, Rhythmen, Strukturen. Ich begann die Formen und Verformungen jedes Bretts genau zu betrachten und die Details, die mir auffielen, für ihre Eigenarten zu mögen. Ich begann das Holz zu behandeln wie Ideen und es zusammenzufügen wie Gedichtzeilen oder die Bilder einer Erzählung. Das Holz und ich inspirierten einander, wir wurden Partner, wir begannen die Sätze des anderen zu beenden. Die Maserung des Holzes und die Streifen, die ich ihr mit den Borsten des Pinsels zufügte, vereinten sich zu Poesie und Rhythmus. Das Holz und ich begannen uns zu unterhalten. Wir tauschten uns über Literatur, über Prosa und Lyrik aus. Am Ende war das Regal für mich wenig anders als ein Text, den ich verfasst hatte.
Und seitdem steht es auch da wie ein Text. Nicht so schön, nicht so stolz, nicht so reich und umfassend, wie es in meinen Gedanken war. Eben so wie ein Text, bei dem man sich mit jeder neuen Zeile gegen die Unendlichkeit der Möglichkeiten und für den nächsten Satz entscheiden muss. Ich habe Kompromisse gemacht, die mir besonders schwerfielen, und ich habe Kompromisse gemacht, die sich im Machen als besser entpuppten als die erste Idee, von der ich mich nur so schwer hatte trennen können. Und wie bei einem Text merkte ich, dass das Regal viel schöner ist, so wie es im Raum steht, als alle Regale, die nur in meinem Kopf stehen. (Jetzt, beim Lesen, klingt es, als hätte ich mir das für diesen Text ausgedacht. War aber echt so. Und ich empfehle diese Vorgehensweise mit Nachdruck weiter.)
Ach ja, was drin ist in dem Regal: das Übliche, denke ich. Bücher, die ich so gern mag, die ich so gut finde oder wichtig, dass ich sie immer um mich haben möchte. Klassiker, von denen ich mir einbilde, dass ich sie irgendwann doch noch kapieren könnte. Ein paar Meter Sachbücher, in die ich höchstens ein Mal reingeschaut habe. Ein paar Meter Lyrik, in die ich höchstens zwei Mal reingeschaut habe (außer in Benn, Celan und Tapfer lieben von Marilyn Monroe). Und ein Haufen Bücher, von denen ich mich immer nur trennen mag, wenn ich sie nicht gerade in der Hand halte und neben mir die Kiste für die Verschenkebücher steht.