2. Widerspiegeln
Wir lernen die gesamte psychologische Orientierung – bzw. die Techniken von Ausdruck und Kommunikation – durch das »Spiegeln«, also Nachahmen von Gefühlsausdrücken der Eltern und anderer Kinder. Aus alter Gewohnheit sind wir daher vielleicht besonders aufmerksam auch auf physikalische Spiegelungen in unserer Umgebung. Wer spiegelt, ist ein Mensch, haben wir gelernt.
Spiegel machen uns, wie es schlichte Wände oder Tapeten nicht immer tun, auf mögliche (denkbare) andere Perspektiven aufmerksam. Sie personifizieren die Umgebung, oder besser: sie lassen uns das tun. Aber unsere Erwartung wird frustriert, wie bei Beziehungen mit Feen. Augenspiel wie von Borderlinern exerziert die Spiegelneuronen, ohne dass es zu einer kohärenten verhaltenstechnischen Orientierung käme. Die Spiegel benutzen das Spiegeln eben nicht, wie wir, zum Erlernen einer verbindlichen Menschensprache, zum Kommunizieren, also zum Manipulieren bzw. zur Koordination einer Zusammenarbeit.
Wirklich? Ist diese pragmatisch begründete Sprachfunktion das Einzige, was den Namen Sprache verdient? Gibt es in den ästhetischen Spiegelungen nicht auch Grammatiken, die sich bloß eben nicht auf menschliches Verhalten beziehen? Denen wir egal sind? Diese nicht menschlich orientierte (wir sagen: »zufällige«) Ästhetik mitzuerleben ist aufregend, wie wenn man mit Tieren schmust. Oder auch auf verspielte Weise nutzlos, wie wenn man Ukrainisch hört und darin nur die Vokabel erkennt, die zufällig japanischen Wörtern ähneln. (AC)
3. Rahmung
In der Szene auf diesem Bild feiere ich meinen 26. Geburtstag. Ich habe mich auf einen fröhlichen Tag ein und sogar noch ein rotes Kleid gekauft, als Belohnung für ein paar Monate harter Arbeit. Damit ein schönes Foto gelingt, werfe ich mich in tanzähnliche Positur, dabei kommt mir der Wunsch, in diesem Jahr wolle ich mehr tanzen. Die Tücke ist, zu diesem Zeitpunkt war die Bewegungsfreiheit meines Körpers stark eingeschränkt, weil mein Knie durch einen Unfall und etliche Operationen seit sieben Jahren steif war. Die Ärzte sagten, es bestünden keine Aussichten auf eine Prothese. Jedoch das Rechteck der Fotographie bewirkte einen Zauber im Verhältnis zwischen Raum und Körper, um mein unbeweglichem Bein herum entstand eine »Rahmung«.
Und nach einem Jahr wird der Zauber wahr: Das allbekannte steife Bein bewegt sich, es hat eine Prothese bekommen. (DK)
Beim Rahmen kommen wir nicht umhin, dass Macht ein Teil der Definition wird. Die Macht sieht im Modell »Rahmung« oft statisch aus, die »Opfer« laufen selbstbewegt in die »Falle«, oder sie werden vom Blick ders sich bewegenden Betrachternis durch das Vorbeigehen in einen flüchtigen visuellen Zusammenhang geschoben. Manchmal aber passiert es auch umgekehrt, und der Rahmen wird als mobiler Trick (Sperrmüll oder überschüssige Machtutensilien) herumgetragen und vor sein Opfer gelehnt, beispielsweise.
Die Rahmung scheint mit der Kategorie des »Besonderen« zu arbeiten, die aber tückisch ist, da sie alles Mögliche bedeuten kann. Vor allem wird in der Praxis hier mit unsichtbaren Wertungen und Konsequenzen gedealt. Man geht ja mithin absichtlich in eine Rahmung, etwa die Operntreppe hinunter oder ins Selfie, in der Meinung, die Gelegenheit wahrzunehmen, sich mit der eigenen Seinsart in diesem Kontext irgendwie auszuzeichnen. Nur die anderen, die Beistehernnnie, können feststellen, dass der Zusammenhang leider ungünstig für dien Gerahmten aussieht. Der Rahmen war stärker. Man zeichnet sich als jemand aus, dier irgendetwas nicht verstanden hat, was die Beobachternnnie aber sofort sehen.
Aus Vertrautheit mit dieser Außenperspektive kommt Kritik an der Praxis des Framens überhaupt. Wie kommen wir dazu, geframed zu werden? Für wen? Wenn ich sage, mir geht der Rahmen am Arsch vorbei, wie kommt es dazu, dass die zusehende Mehrheit im Chor antwortet: Nein, du gehst dem Rahmen am Arsch vorbei? Das ist Macht, die Macht des Blicks der Mehrheit, die Power des Eifers, sich als auf der klügeren, Recht behaltenden Seite zu zeigen.
Wird man nicht immer geframed? Dass es in dieser Deutlichkeit ein Sonderfall bleibt, zeigt, dass mit diesem verallgemeinernden Satz (vgl.: Du kannst nicht nicht kommunizieren) nicht alles erledigt ist. Es kommt auf die Relationalitäten an. Von Macht. Der Rahmen wird als mächtiger als der in ihn hineintappende Einzelfall gesetzt und auch verstanden. Dagegen löst die »Bildkommunikation« Hierarchien eher auf, anarchische Kommunikation auf gleicher Ebene zwischen – absichtlich oder bloß traditionell – getrennten Weltteilen inszenierend. (AC)
4. Gedankensprung
In einem Krankenzimmer mit drei Betten liege ich in der Mitte, eingekesselt von zwei Österreicherinnen jenseits der achtzig, wie ein unfreiwilliges Hindernis für die Plaudereien der beiden. Neben der Wand liegt die Stillere, und neben dem Fenster die Grantigere. Wenn wir schon bei Eigenschaften sind, der Zustand nach der Narkose machte mich zur Unbeweglichsten von uns dreien.
Die Grantigere war damit beschäftigt, lakonische Bemerkungen über die Scheußlichkeiten des Spitals abzugeben, wie unösterreichisch das Personal sei, und so unfähig zu arbeiten, wie sie es früher noch gekonnt hätten. Davor rettete ich mich meistens mit Ohrstöpseln, dem unverzichtbaren Accessoire einer Audiophoben.
Aus dem sonst so undeutlichen Gebrummel erklingt plötzlich eine neue Melodie: »Ich hasse meinen Vater! Als ich klein war, hat er mir Briefe mit Fotos von aufgehängten Russen geschickt. Seit ich zwanzig wurde, habe ich mit ihm nicht mehr geredet.
Die Stillere schaute gerade ein populärwissenschaftliches TV-Programm. Und eben als die Grantigere das sagt, erscheint ein Bild mit Schädeln. (DK)
Was sind Gedanken? Und wenn das hier Sprünge sind, wie hat man sich ein »Gehen« der Gedanken vorzustellen? So wie man beim Gehen immer einen Fuß auf dem Boden hat, gäbe es, wenn die Gedanken gehen, immer eine verlässliche Assoziationskette? Bleib auf dem Boden der Vernunft, sagt man, wo doch diese Vernunft eine durchaus schwebende Konstruktion ist, deren Richtigkeit allerdings durch ihren Gebrauch andauernd bewiesen wird.
Sprung könnten wir es allerdings nennen, wenn ein größerer Abschnitt so einer Argumentationslinie übersprungen werden kann. Oder aber glitch, etwa wenn ein paralleles Arrangement möglich macht, dass ein Gedanke von einem Bereich zu einem anderen wechselt – ein Virus von Affen oder Vögeln zu Menschen oder Oberösterreichernnnie in die »chilenische Schweiz«.
Symbolik, ja Mystik ist nur ein Beispiel für parallele Konstruktionen. Die Parallelismen oder strukturellen Ähnlichkeiten sind in der Welt ohne Zahl, schon allein, weil wir alle aus derselben Chemie bestehen, derselben Physik unterworfen. Uneigentliches Sprechen surft auf diesen Parallelkonstrukten.
Der emotionsgeladene, sinnsuchende Blick nimmt freilich mit besonderem Eifer Gelegenheiten zur Sinnstiftung wahr, Momente, wo Bestätigung der Sinnfindung aus der Außenwelt zu kommen scheinen. Wir sind auf Mustererkennung dressiert. Wenn die Welt, wie die Gesichter rund um ein Baby, auf die eigenen Gedanken mit Echos anzuspringen scheint, fluten Chemikalien ins Blut, die einem sagen, ja, man ist hier willkommen, man darf bleiben, man wird zurückgeliebt und geschützt werden. Und man kann spielen. (AC)
In der Kategorie 3, »Rahmung«, sahen wir die Geschichte von einem Rahmen und einem roten Kleid. Und so flaniert »die Inhaberin dieser Beine« durch die Gassen Wiens.
Während eines solchen Spaziergangs erhaschte mein flanierender Blick in einer Zeitung ein Bild und ein Überschrift: »Medaillen und noch ganz viel mehr …« – »für diese Beine!« – fügte ich in Gedanken hinzu, tatsächlich in diesem Augenblick mit den Füßen auf dieser Zeitung stehend. Der Zauber des roten Kleides und des Rahmens ließ erneut grüßen. (DK)