5. Kommunikation zwischen Bildern
Das Verführerische all dieser Brüche besteht ja darin, dass man durch sie das Gefühl hat, an der Schwelle zum Verständnis einer universellen Sprache zu stehen, die wir mit der unbelebten Welt gemeinsam haben – von der wir durch Definitionen getrennt sind, die aus unerklärlichen Gründen die Betroffenen eines bestimmten Algorithmus des Verfalls, den wir Leben nennen, höher bewerten. Dank der Brüche, dieser »Rosettasteine der Ästhetik«, meinen wir, als Voyeurni gewissermaßen, eine Kommunikation zwischen zwei Bildern zu verfolgen, die mit uns nichts zu tun hat. Das ist doch der Beweis! denken wir. Wir projizieren hier gewiss nichts hinein! Das Bild besteht quasi den Bechdel-Test für Bilder: Während dort ein Film nur sehenswert ist, wenn darin mindestens ein Mal zwei Frauen miteinander sprechen, und zwar nicht über einen Mann, können wir das wohl auch auf nicht-menschliche Angelegenheiten anwenden. Nun also nicht ein, sondern zwei Bilder im Bild, Mise en abyme mit zwei Fluchtpunkten. Vielleicht bekommen wir das Gefühl, unser Horizont werde durch die beiden Interpretationshorizonte, die wir gleichzeitig und in »Kommunikation« miteinander wahrnehmen, gespreizt. Es geht in »Verschmelzung« über, die Schnittstellen zwischen zwei Sprachen sind auch Verschmelzungsstellen, beziehungstechnische Schweißnähte. Hier geschieht es in einer Zwischenwelt: unserer.
Doch auch hier haben wir es vielleicht mit einer Illusion zu tun. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir immer noch ein Bild betrachten. Was nun heißt es, etwas als Bild zu sehen – und das in seiner aktiven Komponente? Was »machen« die Bilder hier genau miteinander, was wir, schon wieder alles anthropomorphisierend, »Kommunikation« nennen? – Nun, was machen wir Menschen in den Momenten und Aktivitäten, die wir als »Kommunikation« bezeichnen?
Aspekte in einander wecken?
Kann man es so definieren?
In manchen dieser Beispiele werden auch Teile der Welt als Bilder gezählt werden. Tja, ich sehe den Mann als Bild, ja. Er ist für mich nur visuell interessant, als Teil meiner Gedankenkomposition in diesem Augenblick. Das dürfte zulässig sein.
6. Verschmelzung
Hier wird als einziges KEINE Bedeutungsillusion erzeugt. Vielleicht (scherzhafte) Suggestion eines organischen Ganzen, reizvoll durch das Flirten mit der Enttäuschung dieser Fantasie. Der Unterschied zwischen etwas »natürlich« Gewachsenem und etwas »künstlich« Verschnittenem wird … infrage gestellt, sagt man höflich, ich lieber direkt: lächerlich gemacht. Der Humor von Hundezüchternnnie.
Die Verschmelzung bringt uns auf die Ebene der kleinsten materiellen Einheit der jeweiligen Objekte oder Bilder (je nachdem, ob die Verschmelzung auf der Bild- oder der Motivebene stattfindet). Also nicht der kleinsten denkbaren, sondern der, wo eben die Verschmelzung stattfindet. Verändern die Bestandteile die Molekülstruktur, oder mischen sie sich nur neu auf?
Für die Nutzung des Bilds im Bereich der Bildbetrachtung hilft das nicht weiter, uns interessieren die Effekte. Damit wir Betrachternnnie die »Verschmelzung« überhaupt als solche erkennen, müssen größere Teile (Brocken) von unterschiedlichen Zusammenhängen erkennbar bleiben. Eigentliche Verschmelzung findet allenfalls an den Rändern statt.
Und doch kommen wir um diese gemeinsame Ebene nicht herum.
Findet die Verschmelzung beispielsweise zwischen der Reflexion eines Schaufensters und den Gegenständen dahinter statt, geht es um Lichtwerte, findet die Verschmelzung direkt dort statt – und auf dem Weg ins Gehirn, wie Steak und Beilage auf dem Weg in den Magen. Zwei Interpretationen, zwei Narrativen vermischen sich, überschneiden sich, zeugen sozusagen ein Hybrid. Die Konturen distinkter Objekte werden stellenweise durch zufällig an eben der Stelle gleiche Lichtwerte durchkreuzt, als besuchten zwei Menschen mit derselben Art von Jacke zur selben Zeit das Lokal und gingen jeweils mit der falschen nach Hause. Der Übergang ist die Verwechslung, wo gleiche Werte herrschen. Die Gefahr besteht natürlich immer, bei jedem »e«1. Besonders wahrscheinlich wird sie allerdings, wenn Durcheinander oder Gedränge herrscht, etwa
wenn mehrere Informationsquellen ein Medium speisen. Multitasking gerät in den Neuronenbahnen in Stau, die Kolonnen der Zusammenhänge werden zerstückelt. Der Text oder die Bilder aus dem Fernsehen mischen sich mit denen vom Buch auf dem Schoß und dem Gerede vom Freund, der etwas erzählen will, Gespräch vom Nebentisch wird ins Gedicht verschnitten, weil es so gut passt, Lieblingsideen kontaminieren die Interpretation von Heidegger.
Kritik
Am Anfang hatte Dariia immer nur ein Bild pro Kategorie oder eine Kategorie pro Bild. Ich wusste nicht, wie ich mit diesem Material »denken« sollte, aber es hatte natürlich auch eine gewisse Hygiene. Sonst würde es unsauber, meinte sie. Leuchtet ein, aber dann sind es Bildtitel, nicht Kategorien im philosophischen Sinn.
Wir sind jetzt bei fünf bis sechs Bildern pro Kategorie und die Texte konnten dadurch ernster arbeiten als in den literarischen Miniaturen von vor zwei Jahren.
Es kommt manchmal die Frage auf, ob ein Bild nicht eher in eine andere Kategorie gehören würde. Aber die Bedeutung der Kategorien kristallisiert sich ja erst heraus, sie besteht aus der Gemeinsamkeit aller in dieser Kategorie (erst mal durch Intuition von Dariia) gruppierten Bilder. Somit verändert das Verschieben der Bilder in Anpassung an die Kategorien wieder die Kategorien. Es ist wie das freihändige Ausschneiden eines Kreises. Jede Korrektur wird zur nächsten Unverhältnismäßigkeit. Wir brauchen ein inneres Maß, unsichtbare Guidelines. Diese Guidelines sind wieder eine Kontamination, eine unsichtbare Gefahr – da unsichtbar.
Umstülpung der ganzen Welt, auf nicht weniger kann Theorie abzielen, wenn sie nicht langweilig sein will. Man kann die Welt auch andauernd in eine neue Richtung komplett umstülpen, das ist nicht das Problem. Das passiert ja wahrscheinlich eh die ganze Zeit. Es dürfen nur nicht alle Leute gleichzeitig alles umstülpen, ein Großteil der Bevölkerung müssen die Kontinuitäten pflegen, damit das Ganze schön geschmeidig bleibt. Das ist das Problem. Solange die es nicht als Problem empfinden, super.
Subjektivität ist eigentlich kein Problem, weil es sie nicht gibt. Subjektivität ist ein Scheinphänomen. Jede Subjektivität setzt sich aus »objektiven« Elementen zusammen.
Die Metapher des Bruchs unterstellt, dass es einmal zusammen war. Das ist es, was mich an diesem Begriff und seiner Schlagworthaftigkeit als Wert in Kunst ein bisschen aggressiv macht. Spiegelt eine Perspektive wider, in der alles ursprünglich heil ist und dann zerschlagen wird. Oft erleben Menschen ihre Umwelt als von vornherein komplett disjunkt, und haben – im Kontrast zum meist positiv bewerteten »Bruch« in der Kunst – in der Tat große Sehnsucht nach Zusammenpassen haben, das ja auch mächtig Arbeit bedeutet.
Wir haben noch nicht endgültig ermittelt, ob Brüche nun unangenehm sind, also schwierige Fälle, von denen wir lernen – oder eben gebrochene, komplexe, unübersichtliche Situationen, die keinen konzertierten Widerstand leisten, wenn wir sie instrumentalisieren, um unsere Lieblingstheorien zu illustrieren. (AC)
1»e« ist ja der häufigste Buchstabe der deutschen Sprache, deswegen »e«. Wenn man allen Buchstaben einen Lichtwert zuordnen würde, dann könnte man bei jedem »e« (und natürlich bei jedem anderen Buchstaben) nahtlos zu einem anderen Gegend, wo ein »e« ist, wechseln und dort weiterlesen. Mit sich wiederholenden Passagen passiert es ja auch öfters so, wenn man ermüdet liest – das ist dann ein humaner Glitch. Manchmal ist es dann auch plausibel oder komisch, wie wenn ein Fenster plötzlich als ein Nashorn weitergeht. Gesellschaftsspiele wie Cadavre exquis und Kakikotoba benutzen auch diese »wilde Schaltstelle« als Unterhaltungsgenerator. Der Effekt ähnelt in der Masse Burroughs‘ Cut-up-Technik, die auch mit Brüchen arbeitet, die aber im seltensten Fall sich zufällig solcher »Ausreden« bedienen – sie schalten einfach ungeniert woanders hin, und der Lesekopf liest weiter, ohne durch gemeinsame Werte weichgezeichnete Übergänge. Zurück zur Textstelle