Nach welchem System ordnen Sie Ihre Bücher?
Die Sachliteratur nach Themen. (Ich bin ein Recherche-Junkie und besitze sehr viele Nachschlagewerke und Fachbücher, auch zu den exotischsten Stichworten, wie etwa Das Lexikon der rätselhaften Körpervorgänge oder Petroglyphen der Steinzeit.) Die Belletristik ist alphabetisch sortiert. Ich brauche das, Symmetrie und Struktur. In meinem Kopf herrscht meist ein ziemliches Chaos, weshalb ich von außen gegensteuern muss. Mein Schreibtisch steht mitten in meiner Bibliothek, ebenso aufgeräumt, ein Ort, an dem alles seinen exakten Platz hat, sich nie etwas verändern darf, weil genau hier sich alles verändert, jeden Tag, an dem ich schreibe.
(Seltsamerweise höre ich aber beim Arbeiten sehr laut Musik, gerne Rock; Stones, AC/DC, Popa Chubby. Vielleicht gäbe es diese Erklärung: Ich kann mich extrem gut konzentrieren, ganz auf den Text fokussieren, die andere Welt auf ein Hintergrundrauschen reduzieren. Wahrscheinlich kommt diese Fähigkeit bei größtmöglicher Ablenkung am besten zum Tragen.)
Welches Buch lesen Sie gerade?
Zwei, parallel. Abends vorm Einschlafen: Neue Gedanken, Neues Gehirn von Sharon Begley, ein Buch über Neuroplastizität und die Macht des Bewusstseins. Fasziniert mich in Hinblick auf meine Heldin Jenny Aaron, weil ich am Fortsetzungsroman zu Endgültig arbeite. Aaron ist durch eine Kugel erblindet, doch ihr Cortex, ein Verarbeitungsmonster, hat ihre anderen Sinne hypersensibilisiert; weil das menschliche Gehirn, wie man erst seit der Jahrtausendwende weiß, sich eben ständig neu strukturieren kann.
Morgens lese ich eine Stunde am Schreibtisch in Das elegante Universum von Brian Greene. Er erklärt höchst anschaulich, dabei amüsant, die Superstring-Theorie und nimmt den Leser mit auf eine Reise in Paralleluniversen. Diese Lektüre hilft mir ebenfalls, Aaron immer besser zu verstehen. Sie hat aufgrund ihrer Blindheit eine komplett dissoziative Persönlichkeit und lebt in einer eigenen Welt, die sich mit der anderen, unserer, manchmal berührt. Und dann wird es spannend.
Wie weit reicht Ihre Sammlung zurück?
Mein erstes richtiges Buch war die Nibelungensage. Da war ich sieben oder acht. Etwa um die Zeit habe ich auch begonnen, kleine Geschichten zu schreiben und im Verwandtenkreis für fünfzig Pfennig pro Exemplar zu verkaufen. Ich hatte also schon früh ein Gespür für die ökonomische Seite des Gewerbes. Die Nibelungen habe ich gut behandelt und all die Jahre bei jedem Umzug mitgenommen. Jetzt steht das Buch im Regal über dem Fenster, auf das ich beim Schreiben schaue, ganz oben, ein bisschen versteckt, aber es geht nun mal nicht anders, weil – genau – alphabetisch …
Welche Bücher liegen Ihnen besonders am Herzen?
Die Nick-Adams-Stories von Hemingway, alles von Chandler, alles von Frisch, Alfred Andersch: Die Rote, Wallenstein von Golo Mann, alles von Kafka, Brechts Gedichte, Jaques Prévert: Gedichte und Chansons, Garp und wie er die Welt sah von Irving, Ist das ein Mensch? von Primo Levi, Der dritte Polizist von Flann O’Brien, The Postman Always Rings Twice von James M. Cain, Brandung und Ehen in Philippsburg von Walser, Vaterland von Robert Harris, Roddy Doyle: The Commitments, José Luis Sampedro: Das etruskische Lächeln. Ich fürchte, ich muss hier abregeln, sonst geht das noch Seiten so weiter.
Welches Buch hat Ihr Leben verändert?
Mein jetziger Roman Endgültig. Reinhold Messner wurde in einem Interview einmal gefragt, ob das Besteigen von Achttausendern Spaß macht. Sinngemäß antwortete er: »Heutzutage muss alles Spaß machen; die Freizeit, die Beziehung, das Berufsleben. Der Profi fängt dort an, wo der Spaß aufhört.« So war es bei mir sehr lange. Schreiben müssen, nicht des Geldes wegen, sondern weil ohne Schreiben alles nichts ist, aber auch täglich darum kämpfen müssen, oft quälend. Erst mit der Arbeit an diesem Roman hat sich das für mich geändert. Ich habe ihn mit einer solchen Lust geschrieben, dass die Finger beim Tippen kaum nachkamen. Keinen Abend bin ich zu Bett gegangen ohne den Gedanken Lass es ganz schnell Morgen werden, damit ich wieder an den Schreibtisch kann. Und dann stand ich auf meinem Achttausender, auf den Aaron mich geführt hat, mein blinder Sherpa, und konnte ganz weit sehen und frei atmen, ohne Sauerstoffflasche. Danach hatte ich eine Zeit Angst, das würde sich nicht wiederholen, dass ich mich erneut auf jedem Meter in den Fels krallen muss. Doch jetzt merke ich, dass auch das nächste Buch mich leicht in die Höhe trägt. Man muss sich mich als glücklichen Menschen vorstellen.
Welches Buch haben Sie zuletzt verschenkt?
Risiko von Steffen Kopetzky. Ein literarischer Abenteuerroman, der die unglaubliche Reise einer Gruppe von Gesandten des deutschen Kaisers während des ersten Weltkriegs durch Afghanistan erzählt. Ziel war es, einen Dschihad anzuzetteln und den Emir von Afghanistan zum Angriff auf das britische Empire zu bewegen. Ein Schelmenstück, ein delirierendes Landschaftsepos und eine Liebesgeschichte. Höchst vergnüglich.
Wer soll Ihre Bücher einmal bekommen?
Meine Frau und ich haben keine Kinder; unsere beiden Patentöchter Luise und Ann-Sophie, mit denen uns ein sehr inniges Verhältnis verbindet, sind unsere Erben. Aber denen kann ich diese Bibliothek ja unmöglich aufhalsen wollen. Ist auch eigentlich nicht wichtig, wo die Bücher einmal landen. Sie leben ja sowieso weiter, wenn auch nicht in diesem Zimmer.
Wie sähe Ihre ideale Bibliothek aus?
Sie wäre in einem großen, aus Felssteinen gemauerten Haus im Tal des Todes. Durch das Panoramafenster vor meinem Schreibtisch würde ich direkt auf Zabriskie Point sehen, den heißesten Punkt der Erde, den ich 2007 nach fünftausend Meilen mit meiner Harley erreichte, mitten in einem Kessel von atemberaubender Leere, ein einziges Glitzern, darüber ein Himmel wie aus Glas. Die Sonne würde grell auf meine Bücher brennen, und sie würden flimmern und in einer Luftspiegelung verschwinden. Aber ich weiß, sie sind noch da.