Andreas Pflüger und Erik Spiekermann über Typomanie, Arbeitsethos, Rhythmus und Form, den Bushidō, die Abwesenheit von Licht, Schwarzbrot und Schnapstrinken und ihre Zusammenarbeit.
Pflüger: Meine Mutter sagte, dass ich ein seltsames Kind war. Wenn sie mir vor dem Einschlafen aus Kinderbüchern vorgelesen hat, soll ich sie ihr bisweilen aus der Hand genommen und die Qualität der Illustrationen bewertet haben. Es hätte mir nicht genügt, eine schöne Geschichte zu hören, es sei mir wichtig gewesen, dass sie ebenso dargestellt wurde. Daran erinnere ich mich nicht mehr, aber ich glaube es sofort. Bis heute kann ich kein Buch lesen, ohne das Layout zu analysieren, mich am Satz zu erfreuen oder ihn still zu zerpflücken; selbst bei der morgendlichen Zeitungslektüre ist das so. Auch Handschriften faszinieren mich. Dabei ist meine eigene krakelig und kaum zu entziffern, vermutlich hätte ich einen guten Arzt abgegeben.
Spiekermann: Ich habe mir mühsam abgewöhnen müssen, einen Text erst zu lesen, wenn ich die Schrift identifiziert hatte, aus der er gesetzt ist. Zum einen gibt es derweil zu viele Schriften, die ich nicht mehr erkenne, zum anderen hat es mir oft den Appetit verdorben, wenn er aus der unpassenden Schrift gesetzt war.
Pflüger: Bei meinem Debüt-Roman Operation Rubikon habe ich unter dem effekthascherischen Cover der Erstausgabe sehr gelitten – und ebenso unter dem Satz. Ich empfand ihn als unruhig, zappelig, unausgewogen. Man erklärte mir, dass dem nicht so sei, aber ich finde, dass der Autor das Recht auf seine ganz eigene Haltung hat. Es ist sein Text; das Glück oder Unglück ihn anzuschauen, teilt er mit niemandem.
Spiekermann: Als Gestalter bin ich der Übersetzer zwischen Autor und Leser. Dabei ist die Meinung des Autors am wichtigsten, denn er kennt den Text am besten und weiß vor allem, wie seine visuelle Stimme klingen sollte. Wenn sich der Autor nicht einmischt, mache ich mir meinen Reim selber. Deshalb kann ich auch nur Bücher gestalten, die ich gelesen habe. Hat der Autor aber selber Vorstellungen und ist bereit, diese einzubringen, entsteht eine Auseinandersetzung, die nur nützlich sein kann. Als Gestalter muss ich meine Eitelkeit zurücklassen und dem Text dienen.
Pflüger: Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit einer Kollegin. Sie meinte, dass die Textgestaltung ihrer Bücher ihr ganz egal sei. Wenn die Belegexemplare kämen, betrachte sie nur das Cover, den Rücken, die Klappen. Wichtig sei, dass sie auf dem Foto gut aussehe; dabei lachte sie.
Spiekermann: Na ja. Man kann das als positive Gelassenheit sehen, aber auch als Gleichgültigkeit. Es gäbe keine unterschiedlichen Schriften und Layouts, wenn sie keinen Unterschied bei der Rezeption des Textes machten. Viele Bücher sind lieblos gesetzt und überhaupt nicht gestaltet. Das ist eine vertane Chance. Wenn der Autorin das egal ist, dann frage ich mich, ob sie mit ihrem Schreibhandwerk auch so schlampig umgeht.
Pflüger: Als mein erster Suhrkamp-Roman Endgültig in den Satz ging, wollte ich, dass alles perfekt wird, auch weil dieser Text mir mehr bedeutete als jeder andere zuvor. Dabei habe ich der Herstellungsleitung und meinem Lektor Thomas Halupczok, dem ich viel verdanke und über die Maßen verbunden bin, einiges abverlangt. Ich glaube, dass es mir im Vorfeld nicht gelungen war, exakt zu verdeutlichen, was ich mir wünschte: einen eng gesetzten Text in absoluter Ebenmäßigkeit, der die Strenge und Disziplin des Bushidō besitzt, aber gleichzeitig eine große Ruhe ausstrahlt und die Dynamik der Erzählung, vor allem in den Adrenalin-Passagen, durch Klarheit und Strenge erdet. Nach dem letzten Durchlauf der Fahne waren wir alle ermattet und wussten, es muss sich für den Nachfolgeband Niemals etwas ändern, sonst wäre das gute Miteinander in Gefahr. Als ich im Frühjahr dann hörte, dass die Herstellungsleitung sich mit Jonathan Landgrebe beraten hatte und man dir die Gestaltung des Romans antrug, habe ich vor Freude einen guten Tropfen genossen. Ein solcher Schritt ist ja alles andere als selbstverständlich. Die Aussicht, mit dir arbeiten zu dürfen, hat mich ebenso froh gemacht wie die Wertschätzung, die Suhrkamp mir damit zeigte.
Spiekermann: Wir arbeiten ja schon eine Weile an der Edition Suhrkamp Letterpress, wo sich der Verlag sehr mutig gezeigt hatte, einen neuen Weg zu gehen, indem wir die digitale Typografie mit dem analogen Buchdruck verbanden. Ein Buch ist erst ein Buch, wenn es ein Buch geworden ist. Am Anfang gibt es nur einen Text, und mit dem beschäftigen sich etliche Gewerke, um daraus ein Buch zu machen. Deshalb ist es nur konsequent, Autor und Gestalter oder Setzer zusammenzubringen. Denn nur so entsteht ein Werk, das allen Bedürfnissen entspricht – auch dem nach einem ästhetischen Genuss beim Lesen. Wobei du das am wenigstens brauchst, denn deine Texte sind ja schon gestaltet, wenn sie als Manuskript bei mir ankommen. Auf jeden Fall hast du eine sehr genaue Vorstellung davon, wie das fertige Buch aussehen soll. Gerade bei deinen großen Auflagen ist es wichtig zu beweisen, dass auch die industrielle Produktion von Büchern nicht gleichbedeutend ist mit lieblos gemachten Erzeugnissen. Im Gegenteil, die höheren Kosten sind schneller amortisiert als bei unseren kleinen, handwerklich hergestellten Editionen.
Pflüger: Das Erste, was mir bei dir immer in den Sinn kommt, ist der Schriftzug am Terminal des Düsseldorfer Flughafens. Allein die Idee, die unteren zehn Prozent des Städtenamens abzuschneiden! Du hast das, glaube ich, kurz nach dem Feuer entworfen, das dort schlimm gewütet hatte. Diese Wunde ist im Schriftzug enthalten, das ist für mich ein Geniestreich.
Spiekermann: Manchmal profitieren wir von Ereignissen, an denen wir nicht schuld sind. Das war auch nach dem Mauerfall mit der Arbeit für die Berliner Verkehrsbetriebe so. Dabei hat in solchen Fällen die Arbeit unter großem Zeitdruck den Vorteil, dass der Druck die Teams von Auftraggeber und Designer zusammenbringt. Da ist keine Zeit für Bedenkenträger, und die Ergebnisse sind entsprechend dicht.
Pflüger: Düsseldorf ist ja nur ein Beispiel. Wir sind alle von deinen Schriften und Symbolen umgeben. Die DB Informationen, die ZDF-Nachrichten, das Leitsystem der BVG, Marken wie Audi und VW und vieles mehr. Und das ist nur Deutschland. Auf subversive Weise prägt dein Design unseren Alltag.
Spiekermann: Mir gefällt es, wenn ich im Zug sitze oder in der U-Bahn und umgeben bin von den Ergebnissen unserer Arbeit. Niemand weiß, wer dahinter steckt, außer mir. Das ist so ein Rumpelstilzchen Gefühl: Es ist gut, dass niemand weiß … Es geht ja um die Sache und nicht darum, als großer Künstler in den Vordergrund zu treten.
Pflüger: Ich glaube, bei Suhrkamp waren sie vor unserem ersten Treffen ein bisschen nervös. Es war ein Experiment und nicht ausgemacht, dass wir beide eine gemeinsame Sprache finden. Ich könnte mir vorstellen, dass man befürchtete, wir würden wie zwei D-Züge aufeinander zurasen und die Splitter würden bis in die Pappelallee fliegen. Aber ich war ganz gelassen und voller Vorfreude. Du nennst dich ja selber einen »Typomanen«. Es ist das Wort, das ich immer für mich selbst gesucht habe. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass Menschen, die für etwas brennen, einander achten.
Spiekermann: Deshalb hatte ich keine Angst vor dem Treffen. Menschen, die so denken wie du, verstehen, dass es Anderen auch so gehen kann, und sind bereit, sich darauf einzulassen. Eine ganz einfache Frage des Respekts.
Pflüger: Ich weiß noch, wie ich bei euch reinkam, das ist ja bei mir um die Ecke, und die vielen Kästen mit Lettern sah. Es roch nach Öl und altem Mauerwerk und hochgekrempelten Ärmeln, und eure uralte Heidelberg-Druckmaschine machte ordentlich Krach. Da werde ich zum Kind. Das Anfassen, Riechen, Hören fehlt mir am Schreibtisch; darum beneide ich dich. Ich besitze viele Blei- und Buntstifte in allen Farben und umgebe mich damit, aber nicht, weil ich sie für meine Arbeit brauche, das ist ja alles digital. Nur finde ich es einfach wunderschön.
Spiekermann: Deshalb mache ich das. Bin ja offiziell im Ruhestand. Aber nach 30 digitalen Jahren wollte ich mal wieder was in die Hand nehmen. Damit bin ich nicht alleine, sondern nur dem Trend etwas voraus.
Pflüger: Zunächst einmal mochtest du Niemals. Das war schon wichtig. Ich weiß nicht, ob wir so hätten harmonieren können, wenn du gesagt hättest: »Das Buch ist nicht mein Ding, aber da stehe ich drüber.«
Spiekermann: Mein Motto ist ja: »Arbeite nicht mit Arschlöchern und arbeite nicht für Arschlöcher.« Ich hätte mir nicht diese Mühe gemacht für einen Text, den ich doof finde. Und nicht mir dir gearbeitet, wenn ich dich doof gefunden hätte. Das Gegenteil war der Fall, und eigentlich hätten wir uns schon lange kennen müssen.
Pflüger: Es ging mir dabei gar nicht so sehr um die Anerkennung, die jeder Autor sucht und genießt. Ich muss mich mit meiner Arbeit einem Diskurs stellen, das beinhaltet immer auch Kritik. Nur bin ich der Überzeugung, dass die erzählerische Kraft eines Textes nicht allein aus der Sprache erwächst, dem, was ich die »innere Form« nenne. Nein, sie hängt auch von der »äußeren Form« ab: der Gestaltung. Rhythmus ist das Zusammenwirken des Äußeren und des Inneren. Nur wenn beides übereinkommt, ist das Werk gelungen. Und deshalb war es wichtig, dass du dich diesem Rhythmus überlassen wolltest. Übrigens widerspreche ich dem ansonsten von mir geschätzten Ferdinand de Saussure, der sagte: »Geschriebene Formen verdunkeln unsere Sicht der Sprache. Sie sind weniger ein Kleidungsstück als eine Verkleidung.« Au contraire: Nur das, was auf dem Papier steht, ist wahr. Beim Schreiben streift der Autor jede Verkleidung ab. Wenn er kein Feigling ist.
Spiekermann: Richtig. Schrift ist ja nichts anderes als sichtbare Sprache. Du kannst auch auf dem Papier lügen. Aber du wirst noch schneller dabei ertappt, als wenn die Lüge nur aus deinem Mund kommt. Gedrucktes ist immer und überall nachzuprüfen.
Pflüger: Am wunderbarsten war dein Vorschlag, dass wir uns nebeneinander setzen sollten, um Hand in Hand zu arbeiten. Da haben meine Synapsen sofort gefeuert. Und im Augenwinkel habe ich den gerahmten Spruch gesehen, der bei euch an der Wand hängt: Alles ist fertig, es muss nur noch gemacht werden.
Spiekermann: Wenn ich schon das Privileg habe, mit einem Autor zu arbeiten, der meine Arbeit so schätzt, dass er sein Manuskript pingelig vorbereitet, um es dann zur Diskussion zu stellen, dann sind wir Partner und jeder kann vom anderen lernen. Das geht doch am besten, wenn wir beide in die gleiche Richtung schauen. Wir waren ja oft nur um wenige Millimeter auseinander, und es war jedesmal ein Vergnügen zu sehen, ob deine Simulation dann auch passt, oder was wir machen müssen, um sie passend zu machen. Das ging nur im unmittelbaren Dialog. Wir haben ja sogar über stilistische Dinge gestritten, nicht nur über die Form.
Pflüger: Du hast ein natürliches Sprachgefühl, das kann man nicht lernen. Mit dir zu streiten, ist manchmal auch herrlich albern. Und was meine Manuskripte angeht: Ich habe mir dazu ein eigenes Programm in Word geschrieben. Mit Makros kann ich das Layout meiner Texte so simulieren, dass sie der Idealvorstellung des endgültigen Layouts fast zu hundert Prozent entsprechen. Damit arbeite ich auch beim Drehbuchschreiben. Man könnte einwenden, dass es überflüssig ist, weil das Drehbuch ja nicht gedruckt wird. Da bin ich anderer Meinung. Ich finde, es sollte ein Vergnügen sein, ein Drehbuch zu lesen. Bei schlecht gesetzten Drehbüchern lenkt mich die äußere Form vom Inhalt ab. Mag sein, dass das außer mir niemanden interessiert. Oft habe ich jedoch von Schauspielern, Regisseuren, Produzenten gehört, dass meine Drehbücher wohltuend »anders« aussähen. Greifen kann das selten einer, die meisten denken auch nicht darüber nach, warum sie so empfunden haben. Es ist ein schönes Beispiel dafür, wie die Gestaltung in unserem Unterbewusstsein wirkt.
Spiekermann: So eine Seite lädt mich mehr zum Lesen und Mitdenken ein als ein ungegliederter Schreibmaschinenschrieb. Es sieht nach Vergnügen aus und nicht nach Arbeit. Man klatscht einem im Restaurant ja auch nicht den Kartoffelbrei von weitem auf den Teller.