Als ich vor zwei Jahren zum ersten Mal in Klagenfurt war, um vom Ingeborg-Bachmann-Preis zu berichten, war ich Teil einer Überraschung, der INGEBORG, einer unabhängigen Festivalzeitung, die an drei aufeinanderfolgenden Wettbewerbstagen erschien. Unsere Redaktion bestand aus 13 Studierenden, die in Hildesheim an ihren Romanprojekten arbeiteten, und unserem Dozenten Thomas Klupp, der zwei Jahre zuvor in Klagenfurt den Publikumspreis erhalten hatte.
Die INGEBORG erschien in einer Auflage von 300 Stück, die irgendwann morgens zwischen 9 und 10 Uhr in einem Klagenfurter Copy-Shop gedruckt wurde. Wer aus unserem Team um diese Uhrzeit noch oder schon wach war, verteilte sie während der ersten Lesungen unter dem schwitzenden Publikum. Die Wettbewerbstexte wurden zur Seite gelegt, man löste lieber unser Kreuzworträtsel oder zählte die Sternchen, die wir den Juroren für ihre rhetorische Leistung am Vortag gegeben hatten.
Die INGEBORG hatte Weißen Spritzer im Blut, ein bisschen Wörtherseewasser und jede Menge Koffein. Nachts im Teatro diskutierten wir darüber, ob wir die Namen derer nennen dürften, die betrunken im Kanal gelandet waren, und ob wir sexistische Sprüche zitieren könnten, ohne eine neue Aufschrei-Debatte auszulösen. Ich glaube, wir haben auf beides verzichtet. Zu einem kleinen Klagenfurter Aufschrei kam es dennoch, als wir ein Foto vom Literaturbetriebssteg auf die Titelseite der zweiten Ausgabe druckten. Lektoren und Agenten möchten nicht leicht bekleidet fotografiert werden, erst recht nicht, wenn das Foto in hundertfacher Auflage auf der Wiese vor dem Klagenfurter ORF-Studio verteilt wird. Eine der wichtigsten Regeln, die ich mir am Ende meiner Hildesheimer Studienzeit einprägte, war: What happens at the beach stays at the beach.
Das bläute ich zwei Jahre später auch meinen Studierenden ein: »Keine Badehosen-Fotos, sonst findet ihr nie einen Verlag!« Das war natürlich nicht ganz ernst gemeint. Beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis kooperierten wir mit Logbuch Suhrkamp, dessen Redaktion uns zur Seite stand, uns eine größere Plattform bot und alle Sätze, die uns zum Verhängnis hätten werden können, noch vor der Veröffentlichung rausstrich.
Wir versuchten in diesen ersten Julitagen in Klagenfurt, so kreativ wie möglich zu sein. Trotz des Schlafmangels, des ständigen Katers und der nahenden Deadline wollten wir Texte schreiben, die sprachlich ausgefeilt, inhaltlich innovativ und spannend zu lesen wären – wie wir es in unseren ersten Semestern in Hildesheim gelernt hatten. Die Bedingungen stimmten: Wir hatten den Weißwein, wir hatten die Nächte, wir hatten die Fahrräder und die Literatur. Aber Klagenfurt ist nicht Hildesheim, die niedersächsische Kleinstadt, wo der Literaturbetrieb nur aus »Schreibern« zu bestehen scheint, Kreativität die höchste Währung ist und Geld lange nur eine Rolle spielt, um sich die Zeit, die Kreativität braucht, zu erkaufen. In Klagenfurt geht es um das ökonomische Kapital, das in Büchern und in den dazugehörigen Karrieren steckt, in denen, die es schon gibt, und in denen, die es vielleicht noch geben wird.
Diesmal erschienen unsere Texte auf einem Blog, hinter dem ein großer Verlag steht, der mit dem Rest des Literaturbetriebs durch Geschäftsbeziehungen und Freundschaften verbunden ist, denen die eine oder andere Pointe, die wir nur zu gern gesetzt hätten, zum Opfer fiel. Mit diesem feinen Netz, das ständig weiter geknüpft wird, kommt man in Hildesheim nur am Rande in Berührung. Der vielbeschworene »Schutzraum für Literatur« ist nun mal da, um literarische Texte zu hegen und zu pflegen, bevor sie in den stürmischen Buchmarkt entlassen werden.
Es gibt jede Menge Seminare zu journalistischem Schreiben in Hildesheim, zu Lektorat und Redaktion, zum Vorlesen und zur Inszenierung von Autorschaft, aber selbst wenn man Bourdieus Regeln der Kunst auswendig lernt, hat man nicht immer eine Knigge-fähige Lösung parat. Es ist ein ständiges Austarieren, Abwägen und Grenzen-Abgehen. Gerade wenn man literarisch und journalistisch schreibt und spricht und dabei immer wieder Rollen mit verschiedenen Fiktionsgraden annimmt, ist es wichtig, Erfahrungen zu machen mit der Freiheit, die diesen Rollen zugestanden oder eben abgesprochen wird.
Nachdem unsere ersten Texte auf dem Logbuch erschienen waren, wussten wir, wo unsere Grenzen waren, trotzdem rannten wir immer wieder dagegen an, weil wir das Spiel mit der Sprache zu gerne spielten, weil uns die Vieldeutigkeit manchmal zu wichtig war und wir sowieso nichts böse meinten.
Kein Lektor, kein Agent, kein Literaturkritiker hat sich dieses Jahr im Strandbad über unsere Sätze und Fotos beschwert. Alle haben ihre Handtücher neben uns ausgebreitet, mit uns Eis gegessen und ein bisschen über Literatur diskutiert.