Herr Puntila und seine Tochter Eva
Einar Schleef inszeniert Bert Brecht am Berliner Ensemble auf ungewöhnliche Weise.
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Nach seinem Riesenerfolg Wessis in Weimar (1993) hat Einar Schleef 1996 im Berliner Ensemble Brechts Puntila und sein Knecht Matti inszeniert. In der Zwischenzeit hatte er sich u.a. intensiv mit einer szenischen und textlichen Umsetzung von Richard Wagners Parisfal beschäftigt.
Obwohl im Puntila kein Wort gesprochen wird, das nicht von Bert Brecht stammt, ist das Stück in Schleefs Fassung auf ungewöhnliche Weise verändert. An die Stelle des Klassenkampfs tritt die elementare Beziehung zwischen einem mächtigen, aber gesellschaftlich bereits dem Untergang geweihten Vater und seiner Tochter, die in allem Abbild des Vaterwillens ist, sich aber als Opfer auf keinen Fall mißbrauchen läßt. Den Vater spielt Einar Schleef selbst, die Tochter spielt Jutta Hoffmann. Diese beiden Figuren treten absolut in den Vordergrund. Sie sind umgeben durch ein ganzes Volk von Knechten (Knecht Matti besteht aus mehreren Personen), Bräuten und Mägden, die zwischen Sauna und Fronarbeit ihr Glück suchen.
Das Drama hat ebensoviel zu tun mit Wotan und Brunhilde wie mit Agamemnon und Iphigenie und Puntila und seiner Tochter Eva. Freikorps, Femegerichte, Männerphantasien, Baltikum 1919, der Brand von Paris – dies die umgebenden Schatten.
Einar Schleef und Jutta Hoffmann berichten über ihre Arbeit. Auffällig ist die Nähe der Inszenierung zum Musiktheater und zu den Klassikern. Ein Steinbruch neuer Möglichkeiten.
Ein Sinnspruch der Pythagoreerin Theano
Theano, die Frau des Pythagoras, schreibt: »Das Leben wäre ein Fest für die Bösen, wenn sie, nachdem sie Böses taten, einfach stürben. Wenn die Seele nicht unsterblich wäre, so wäre der Tod ein Glücksfall.« Diesen sechsten der neun Sinnsprüche, die von der Pythagoreerin überliefert sind, wollte Schleef als Schlußchor (Musik: Perpetuum Mobile von György Kurtág mit Sprechchor) an das Ende seiner Inszenierung von Brechts Herr Puntila und sein Knecht Matti im Berliner Ensemble setzen. In seiner Version des Stückes ist Herr Puntila Chef eines Freikorps im Baltikum. Solche Männergesellschaften unterwerfen sich Frauen, die wiederum die Truppe vorwärtstreiben gegen den Feind und zugleich die Truppe anleiten, die Bodenreform von 1919 durchzuführen. Zuvor war Einar Schleef in Nürnberg mit seiner Inszenierung von Wagners Parsifal zurückgewiesen worden. So waren alle Ideen, die er zu Wagners Gralsgemeinschaft entwickelt hatte, in das Drama von Puntila und seinem Knecht Matti eingewandert. Die Bösartigkeit der Protagonisten hatte sich verdoppelt, gejagt waren sie aber auch durch die Gefahr, im nächsten Leben (und in allen künftigen) ihre Taten wiederholen zu müssen. Nie kamen sie auf die Idee, keine bösen Taten zu verrichten, stets beschleunigten sie die Folge ihrer Taten. Im Stück trat Einar Schleef in der Hauptrolle des Puntila selbst auf. Er geriet derart in Fahrt, daß er nie stotterte in den langen Reden, die Bertolt Brecht vorschrieb.
Unterwegs zum Styx
Einar Schleef gewidmet
Da geht er hin. Um Lende und Rücken eine Art Rucksack. Man trug solche Behälter 1945, wenn einer heimkam. So geht er aus der Probe davon, am Fluß entlang, geht auf einem Fahrradweg dahin. Er kam nicht wieder zurück. Den Schlenkergang, der ihm eigen war, den kannte ich gut. Nie schritt er anders dahin als so, nicht unter den Blicken anderer, noch ohne diese Blicke. Wie wir später erfuhren, ging er zu einer Routineuntersuchung ins Bezirkskrankenhaus. Nach zehn Tagen erfuhr eine erschütterte Welt von seinem Tod. Das war insofern übertrieben, als zwar alle Sender, auch die Tagesschau der ARD, mehrere Tage nach seinem Tod Bericht erstatteten, aber zu wenige ihn wirklich kannten. So reichte es zur Erschütterung bei der Mehrzahl der Konsumenten nicht. Der Davonschreitende wäre empört gewesen.¹
¹ Noch immer sehe ich ihn davonschreiten. Die Umhängetasche aus Wolle besaß Zotteln, ähnelte aber auch jenen Schläuchen, die Infanteristen der Roten Armee zu Anfang des Krieges um Schulter und Lende trugen, um jederzeit Flüsse überwinden zu können.