Ein Gruß zum 100. Geburtstag in 10 Folgen
Folge 9
Die weißen Pferde Alexanders des Großen
G. W. F. Hegel bezeichnet Cäsar, Napoleon und Alexander von Mazedonien als GESCHÄFTSFÜHRER DES WELTGEISTES. Worin besteht solche Geschäftsführung? fragte der Schriftsteller Arno Schmidt bezüglich dieser Formulierung. Cäsar sei bekanntgeworden als Begründer einer Amtsbezeichnung, eines Netzes von Straßen, eines Systems zur Vermeidung weiteren Bürgerkrieges. Dann wurde er getötet, ehe er seine Geschäftsführung zu Ende bringen konnte. Napoleon, so Schmidt, habe Cäsars Leben nachgeahmt, seine Bezeichnung als Kaiser knüpfe nicht an die mittelalterliche Steigerung des deutschen Königstitels an, sondern direkt an die antike Tradition, die sich von Cäsar herleite. Napoleon habe gewissermaßen den CÄSAR als Theaterstück fortgeschrieben, aber es fehlen der dritte und vierte Akt. Viel zutreffender sei die Bezeichnung »Geschäftsführer« für Alexander von Mazedonien. Dessen Tätigkeit werde oft verkannt. Er gelte als Kriegsherr und Schlachtenlenker. Zwischen Issos und Gaugamela, so Schmidt, lägen aber drei Jahre. Diese und die meist nur wenige Stunden währenden Schlachten zeigten den realen Kern von Alexanders Taten. Er sei nicht Eroberer, sondern Städtegründer. Insofern sei das, was Hegel WELTGEIST nenne und durch Geschäftsführung organisiert werde, das Netz von Orten, gestifteten Ehen und Niederlegung von Dokumenten, auch Särgen aus Steinen, Begräbnisinschriften, die es ohne Alexanders Erdenbahn nicht gäbe. Seine wichtigste Eigenschaft aber bestehe in seiner Generosität, also etwas ganz anderem als dem, was man als Geschäftsführung bezeichne. Die persischen Könige hätten die Schätze der Welt in ihre Arsenale wie in ein Gefängnis eingesperrt. Er aber, der Mazedone, habe diese Schätze ausgeräumt, willkürlich als Geschenk an seine Leute und im Orbis verteilt und so ein Wirtschaftswunder nach der Methode des Ökonomen Maynard Keynes für 300 Jahre, nämlich das Zeitalter des Hellenismus, erzeugt.
Noch heute werde im Ferghanatal nach Kellern gesucht, in denen Vorratslager, sogenannte APOTHEKEN ALEXANDERS, angelegt seien. Während aber die russischen Archäologen, so Schmidt, noch Förderungsmittel zur Ausdehnung ihrer Suche schriftlich beantragten, wehe der Wind der Res gestae Alexandri Macedonis in ganz anderen TEXTEN: so in den weißen Pferden jenes Tals, die in griechischen Pferden ihre Vorfahren gehabt hätten. Solche Gene wären dort, nämlich an den Fuß des Pamirs, nicht hingelangt, wäre nicht die Geschäftsführung des Begeisterung auslösenden jungen Empörers gewesen.
Man kann vom Labyrinth nicht lassen
Wir blicken, stellt Arno Schmidt in seiner Alexander-Erzählung fest, auf Labyrinthe wie Kontrolleure. So nimmt niemand ein solches Gebäude wahr, wenn er sich in dessen Fängen befindet. Ich weiß nicht, schreibt Schmidt, wovon diese Zeichnungen sich ableiten. Abgekupfert seien sie seit 1909 von dem von Sir Arthur Evans publizierten Plan der ausgegrabenen Palastanlagen des Minos. Aber das erklärt nicht, warum die Bilder vom »Labyrinth in Aufsicht«, wie wir sie im 16. und 17. Jahrhundert aufgezeichnet sehen, in solcher Einseitigkeit zustande kommen. Aus dem Supplement-Band 6 von Sir Evans, der die Grundrisse der Labyrinthe des Minos wiedergibt, können sie nicht abgekupfert sein. Der ist erst 1936 erschienen. Bewundernswert: südenglische Gartenlabyrinthe. Und hier nochmals ein Labyrinth aus Fliesen in einer der gotischen Kirchen in Frankreich. Man könnte versuchen, in solchen »Planquadraten« Schach zu spielen, aber darin verirren könnte man sich nicht.
Tatsächlich, so führt Arno Schmidt seine Beobachtung weiter, ist das Labyrinth kein horizontal sich erstreckender Bau. Das geht aus ägyptischen Quellen hervor. Vielmehr sind Labyrinthe in die Tiefe gerichtet. Das ist ja das, was die Eindringlinge in dem Labyrinth schockiert. Sie bewegen sich ohne sichtbares Ende zum Erdmittelpunkt, nicht einmal geradewegs, sondern auf einer Schräge. Man könnte dies, wäre es übersichtlich, mit einem Bergwerk oder einer Katakombe vergleichen. Es fehle aber an einer passenden Bezeichnung für den Ort, weil man im Dunklen zuletzt gar nicht wisse, ob man gestiegen oder abwärts gegangen sei. Die Lage werde zusätzlich erschwert, weil die Möglichkeit, nach oben ans Licht zu fliehen, durch den Willen versperrt sei, das Geheimnis des Abgrunds endgültig zu erforschen. Man kann vom Labyrinth nicht lassen, dies sei dessen Verhängnis.