Am 19. Februar wäre der Autor und Filmemacher Thomas Brasch (1945 – 2001) 76 Jahre alt geworden. Die Berliner Musikerin Masha Qrella bringt punktgenau zu diesem Jubiläum ihr neues Album WOANDERS heraus, auf dem sie Brasch-Gedichte vertont.
Der Theaterautor und Filmemacher und Brasch-Leser Akın Emanuel Şipal hat für das Suhrkamp Logbuch einen Text über das Album geschrieben.
Masha Qrella vertont Gedichte von Thomas Brasch. Wer mit Werken beider vertraut ist, dürfte hellhörig werden. Mit »Woanders« gelingt ihr ein gespenstisches Album, traurig, beschwingt, scheinbar mühelos und zart. »Geister«, die erste Single, beginnt mit einem treibenden Beat. Drei, vier Sekunden könnte das alles sein: Auftakt zu einer Party (Party?!) oder ein schnell schlagendes Herz unter einer zugeschnürten Brust. Dann kommt schon ein ziemlich analoges Scheppern dazu, spätestens aber wenn der Synthie-Steinkauz einsetzt, merkt man: die Reise geht nach Innen und zugleich nach Außen:
Wie soll ich dir das beschreiben
Ich kann nicht tanzen
Ich warte nur
Ein kurzes metallisches Zupfen von irgendwo, eine morbide Tonleiter auf einem alten Klavier lassen uns eher in eine Gruft absteigen, als einen Dancefloor betreten. Der Beat aber lässt einen nicht stillhalten. Eine Einladung zum Tanz mit der schwelenden Einsamkeit des Thomas Brasch, die aus allen für das Album ausgewählten Gedichten spricht. Eine tröstliche Traurigkeit stellt sich ein. Traurigkeit als Notwendigkeit, als Gefühl, das man sich leisten muss, um nicht durchzudrehen … darum könnte es hier gehen. Jedenfalls harmonieren ungeliebte Gefühle selten so leicht- und eingängig, wie auf diesem Album.
Qrellas Stimme ist sanft, wenn sie uns die schmerzsatten Verse des geborenen Exilanten in die Ohren legt und zugleich erlösend lakonisch: Track neun, »Wind«:
Kennst du die die immer lachen auch wenn du ihnen die Fresse polierst
Kennst du die die alles machen damit du das dümmste Spiel nicht verlierst
Kennst du die die um dich sind auch wenn sie dich ankotzen wie noch nie
Die dich bewundern wie ein Kind mit spitzem Zahn und fettem Knie
Brutal erwärmend irgendwie. Melodie und Tempo lassen uns pralle Sonne sehen. »Bamm bamm bamm« oder »patsch patsch patsch« … ein analoges, optimistisch-blechernes Scheppern, Klatschen, Metall, Fell, Haut (merke: Haut!) … Man kann sich den Songs hingeben, ohne einen Gedanken an ihren Aufbau zu verschwenden, man möchte ihnen aber zugleich auf die Spur kommen. So dicht sie auch sein mögen, überfrachtet sind sie nicht, eher dünnhäutig: Man kann förmlich einzelne Klänge zwischen den Worten stehen sehen. Wieder und wieder korrespondieren sie mehr oder weniger explizit mit den Versen oder opponieren gegen sie … An Fritz Raddatz bewegende Trauerrede an seinen Freund Thomas Brasch angelehnt, könne man auch sagen: Masha Qrella spannt eine Haut mit den Texten von Brasch, auch in dieser Haut wohnt eine, wenn nicht mehrere Seelen und Braschs Verse schimmern wie verblassende Tätowierungen unter ihr hervor.
Die Haut, aus der kein Herauskommen ist, über die wir Umwelt sinnlich erfahren … Eine zentrale Metapher für Brasch: Haut auf Haut, Haut an kaltem Stein, Haut als Schwelle zwischen Innen und Außen, später die fühllos gewordene Haut … Die Poetik der Haut ist für seine Liebesgedichte nicht weniger wichtig als für seine Beschreibungen unwirtlicher Arbeitsrealitäten. Politische Fliehkräfte wirken bei Brasch auf dieselbe Haut ein, wie Schläge oder Zärtlichkeiten. Der Künstlichkeit von Utopien, der Künstlichkeit von Gefühlen, die zu Produkten erstarrt sind, versuchte er in seinen Texten und Filmen beizukommen … Themen, die Masha Qrella, die man ohne zu übertreiben als Berliner Indie-Pop-Institution bezeichnen kann, nicht fremd sind. Ihr Sound atmet eine subtile Zerrissenheit einerseits, eine selbstverständliche Gleichzeitigkeit andererseits. Mit diesem Album bringt sie einen diffusen, weil komplizierten DDR-BRD Schmerz unsentimental musikalisch auf den Punkt.
Eine einfache Haltung gab es für Brasch nicht. Im »Dissidentennest«, das die BRD ihm bereitet, konnte er es sich jedenfalls nicht gemütlich machen. Der zweite Track des Albums heißt „Bleiben“ und beherbergt seine vielleicht bekanntesten Zeilen und, ganz im Gegenteil zum Titel des Songs, wartet Qrella wieder mit einem treibenden Beat auf: »Bleiben will ich wo ich nie gewe-eeee-sen bin …« 70er-Synthesizer setzen ein, versetzen uns zurück ins Jahr ’75, in dem Masha Qrella in Ostberlin geboren wird und Brasch kurz darauf die DDR für die BRD verlässt … »Aber wo ich bin da will ich nicht bleiben.« eben … Sehnsucht nach einem Ort, den es nicht geben wird, der, bevor er überhaupt entstehen konnte, kaputt gemacht wurde … Qrella zieht die Daumenschrauben an, dann kommt der Payoff: ein ganz helles, lakonisch-emotionales Piano setzt ein, ein graziler, hoher Chor folgt: »WO ICH NIE GEWE-EEEE-SEN BIN … « Tack-tack-tack tack-tack …
Mit diesem Indie-Gospel transzendiert Qrella Braschs ikonische Zeilen, in denen sich seine Lebensthemen spiegeln, sie werden im besten Sinne Pop. Eine Kanonisierung über die Brasch wahrscheinlich geschmunzelt hätte.
Es ist zum Wundern, mit welcher Sicherheit Qrella diese doch nicht ganz unbekannten Verse in perfekte Songtexte verwandelt. Zu allem gesellen sich noch hochkarätige Gastauftritte von Dirk von Lotzow, Chris Imler, Andreas Spechtl, Tarwater und nicht zuletzt von Marion Brasch, über deren Roman »Ab jetzt ist Ruhe« Qrella erst auf deren älteren, zeitweise beinahe in Vergessenheit geratenen Bruder Thomas aufmerksam wurde. »Woanders« scheint wie aus einem Guss, dabei spielt Qrella mit unmerklichen Brüchen und mischt das Bittere unter das Süße. Drink up!
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Videomontage: Diana Naecke, mit freundlicher Genehmigung von Christoph Rüter und TAG/TRAUM Filmproduktion