In times of crisis, we must all decide again and again
whom we love.
Frank O’Hara in To the Film Industry in Crisis
Zwei ZuschauerInnen beim Verlassen einer Filmvorstellung.
A
Und, wie fanden Sie es?
B
Ich fürchte, dazu kann ich noch nichts sagen, der Seheindruck … ist noch zu frisch.
A
Verstehe.
B
Aber ich habe eine Schwäche für gut erzählte Geschichten, das muss ich schon sagen.
A
Ja?
Stille
Da muss ich mal nachhaken: Was meinen Sie denn mit gut erzählte Geschichten?
B
Netflix zum Beispiel. Die konzentrieren sich aufs Wesentliche, tolle Geschichten, interessante Figuren, die Bilder stimmen, hochästhetisch muss ich sagen. Das Meiste zumindest.
A
Naja. Mir scheint, Sie haben eine Vorliebe für Transparenz.
B
Inwiefern?
A
Sie mögen es, Inhalte zu sehen ohne dabei von Formalismen gestört zu werden, von einer besonders sperrigen Sprache zum Beispiel, oder einer experimentellen Kameraführung. Sie wollen verzehrbereite Kunst, sozusagen Sushi … Keine Zeit, etwas kommen zu lassen …
B
Naja. Jetzt haben Sie mich beschrieben wie jemanden, der keine Geduld hat sich komplexeren Erzählungen hinzugeben. Und Sushi werden Sie so auch nicht gerecht.
A
Aber Sie selbst haben doch von Netflix gesprochen und mit Sushi kenn ich mich nicht aus, das mag sein.
B
Sie werden doch wohl zugeben müssen, dass etwas an diesen Serien ist, dass sie uns besonders zeitgenössisch erscheinen. Stellen Sie sich nicht die Frage: Wie erzählen wir heute?
A
Diese Frage stelle ich mir sehr wohl und ich finde eben, dass es einen Hang zur Transparenz gibt, und Opazität, also die Offenlegung der Mittel, bei den Zuschauern eher unbeliebt ist und so Geschichten mehr und mehr Zuckerwatte gleichen: die lässt den Blutzucker hochschießen, aber der Geschmack im Mund verpufft. Fakt ist: Es gibt deutlich mehr Schnitte, Filme sind schneller geworden und Literatur ist weniger dicht als noch vor 50 Jahren.
B
Das sagt aber nichts über die Qualität aus. Glauben Sie nicht, dass sie da in die früher-war-alles-besser-Falle tappen?
A
Ich sage nicht, dass das gut oder schlecht ist. Es sagt aber schon etwas über die Qualität aus.
B
Dann müssen Sie definieren, was Sie mit Qualität meinen.
A
Wollen wir uns nicht einfach duzen?
B
Klar, wo wir mittendrin sind.
A
Wusstest du, dass Netflix Algorithmen verwendet, um Drehbücher auf Spannung und emotionalen Gehalt zu prüfen? Bestseller sind heute Bücher und Filme, die so transparent und dadurch so plastisch sind, dass sie uns immersiv erscheinen, obwohl sie besonders eindimensional sind, wenn man so will: übertrieben naturalistisch. Sie finden den schnellsten Weg zu unseren Gefühlen und werden in ungeheuer kurzer Zeit verbindlich, sie binden uns, sie machen abhängig. Ich sehe darin eine Diktatur der Transparenz, die durch eine zunehmende Technisierung des Erzählens – und dadurch auch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit zur Ausbeutung durch Kommerzialisierung – zementiert wird.
B
Spürst du denn keinen Kick, wenn die wohlige Kälte einer perfekt geschriebenen Serie dein Wohnzimmer illuminiert, dein Smart-TV für kurze Zeit zum Tempel, zu einer Pforte zu einer parallelen Realität mutiert, die bei weitem interessanter ist als dein echtes Leben. Lass mich raten, du lehnst jede Form von Rauschzuständen ab?
A
Nein, überhaupt nicht. Ich bin absolut offen für bewusstseinsverändernde Zustände, die Frage ist, wie passiv will ich sein. Will ich nicht lieber aktiv eingebunden werden in den Prozess des Schauens oder Lesens? Ich meditiere lieber und aktivere meine Zirbeldrüse als mir LSD reinzuziehen, von dem ich keine Ahnung habe, unter welchen Bedingungen es hergestellt wurde. Gut gemachte Geschichten, dem wohnt eine Geste des Bedientwerdens inne, die mich abstößt. Ich will etwas tun müssen. Erst wo Widerstand ist, kann etwas haften bleiben.
B
Aber könnte man sich nicht auch in einer ultratransparenten Erzählung kritisch auf den Zustand beziehen, den du beschreibst?
A
Und wie?
B
Indem man so spannend, so widerstandslos erzählt, so komisch und so schnell, dass ZuschauerInnen durch permanente Reizüberflutung in einen Zustand unruhiger Gereiztheit versetzt werden und ihnen so die ungebrochene Affinität für transparentes Erzählen verleidet wird?
A
Ein Orgasmus, der so intensiv ist, dass er einen umbringt also?
B
Ja, genau!
A
Weißt du, das ist so bezeichnend für mein Leben. Ich rede ununterbrochen und die guten Ideen, die haben die anderen.
B
Wenn ich Kunst machen würde, hättest du meine Muse werden können …
A
Wir sollten unbedingt Nummern austauschen!
»Dialogessay« ist angesichts einer Uraufführung am Theater Bremen entstanden: Akɪn E. Şipal hat die Romanadaption Hier bin ich von Jonathan Safran Foer (Regie: Felix Rothenhäuler) als Dramaturg begleitet. Der Stoff war ursprünglich als HBO-Serie mit Ben Stiller in der Hauptrolle geplant. Als dieses Projekt geplatzt ist, hat Foer einen Roman daraus gemacht.