EINS
Die Kulturreferentin der deutschen Botschaft schreibt mir, ob ich nach Havanna kommen wolle, es gebe eine Inszenierung von Wörter und Körper zu sehen und andere Stücke in szenischen Lesungen, ich sei ihr playwright of the year in Anführungszeichen. Ich sitze in meinem schäbigen Hinterhofzimmer in Berlin, die letzten Wochen waren trüb und einfallsarm, ich glaube an Zeichen und Winke und sage überstürzt zu (dass nicht morgen ein anderer dieser playwright sei).
In den Exil-Latino-Kreisen meines chilenischen Schwagers ist Kuba mir außerdem so geheimnisvoll geworden, dass ich bei kaum einem anderen Land neugieriger wäre, wie es denn tatsächlich aussieht. Die Erzählungen der Besucher alternieren je nachdem, wann sie das letzte Mal auf der Insel waren (kein Kaffee, kein Strom, kein falsches Wort, keine US-Kreditkarten) und abhängig von ihren politischen Überzeugungen.
Im Netz ist ein Ausschnitt der Inszenierung zu sehen, palabras y cuerpos, ich wundere mich, dass kubanisches Theater im Netz zu sehen ist und feile schon an den Formulierungen für das Gespräch mit dem Regisseur: intensivo, con fuerza, como un circo del los locos. Mein Spanisch ist spärlich, aber ich hoffe, bei der Annahme von Komplimenten nimmt man es auch in Havanna nicht so genau.
In Berlin regnet es bei 14 Grad als ich losfahre. Bei meiner Kleiderwahl habe ich darauf geachtet, dass keine US-amerikanischen Markenzeichen sichtbar sind, Kamera und Telefon hab ich gleich weggelassen. In Gedanken bin ich schon seit Tagen vorfreudig in einer imaginierten Karibik, die Zeit verschwimmt, als wir den evangelischen Friedhof Golgatha passieren und Mietskasernen in den Farben von Rentnerhosen. Im TXL-Bus stehen Weltreisende neben Reinickendorfer Angestellten auf dem Weg zur Schicht: Franz-Neumann-Platz, Julius-Leber-Kaserne, Aristide-Briand-Brücke. Ich kenn mich in Deutschland kaum aus, was mache ich auf Kuba?
Am Check-In-Schalter in meinem Rücken ein Dialog:
-Ich bin total aufgeregt, ich weiß nicht, ob ich das schaffe, Du… (Schluchzen.)
-Hauptsache, wir haben uns.
Für die Liebenden hat sich der Urlaub schon gelohnt, bevor er angefangen hat.
Im Flugzeug von Paris komme ich ins Gespräch mit meinen Sitznachbarn. Sie sind aus Kaiserslautern, die Kinder aus dem Haus, jetzt wollten sie die erste Gelegenheit ergreifen, um günstig in der Nebensaison erstmals in die Karibik zu fliegen. Das war schon immer Janas Traum, sagt der Mann, und Jana versucht den Blick eines verliebten Schulmädchens. Der Namen Fidel Castro sagt ihnen nichts, sie fahren in Urlaub, um nicht an Politik und Alltag denken zu müssen. Kuba ist ein Schnäppchen, all inclusive. „Ich fliege beruflich nach Kuba“, sage ich, um das Gespräch zu beenden und merke erst später, wie gefährlich das klingen könnte in Ohren, deren Besitzer mit dem Namen Fidel Castros etwas verbinden. Von Jana nur ein mitleidiger Blick, der wohl die Solidarität der Werktätigen bedeuten soll. Oder einfach nur: ich schau jetzt weiter Johnny Depp (Pirates of the Caribbean). Ihr Partner hat bereits wieder den Kopfhörer übergezogen. Höchstwahrscheinlich Geheimdienst, beide, die stellen sich immer dumm.
Am Flughafen bei der Eingangskontrolle Einzel-Kabinen mit Kameras, die rundliche Afro-Kubanerin in Uniform schaut mir streng in die Augen, dann lächelt sie und lässt mich in ihr Land und draußen empfängt mich feuchte Luft wie warme Watte. Augen und Mund wollen nicht zugehn schon bei der Fahrt vom Flughafen in die Stadt. Ein Land ohne Werbung, vergessen, dass es das geben könnte, ohne sichtbare Supermärkte oder Imbissketten und dabei bunt wie ein fremder Vogel, Hautfarben, Hausfarben, Autolacke, Wunderflora, für die mir die Worte fehlt, Himmelhimmel und eine Ahnung von Meer machen: mich glucksen vor Freude, übervoll.
Auch Mobiltelefone gibt es nicht zu sehen, also reden die Leute am Straßenrand miteinander (wie bei uns früher ohne Internet, als wir an den Haltestellen ständig gelacht und getanzt haben). Viele sitzen auch einfach, machen nichts (oder ich sehe nicht, was sie machen), nichts in der Hand, schauen ins Leere, was im Schaukelstuhl auf der Veranda einer verfallenden Kolonialvilla von 1866 triumphal gelassen aussieht, majestätisch, ganz gleich wie zerschlissen die Schuhe sind, oder eigentlich: je zerschlissen desto grandios. Mode, denkt der Alte schaukelnd, ach. Und macht sich die Schuhe zu eigen durch seinen persönlichen Gebrauch über die Jahre.
Mir bekannte Stadteinfahrtstraßen passieren Industriegebiete, Baumärkte, Hochhaussiedlungen, manchmal in veränderter Reihenfolge. Hier stehen verfallende Paläste, und ich erkenne kein einziges Verkaufsangebot. Straßenfeger streicheln den alten Asphalt. Wie Cheerleader wedeln die Palmen im Wind: ein warmer Empfang.
Auf dem Gelände des ehemaligen Golfclubs im ehemaligen Country Club Park stehen afrikanisch anmutende, ausladende Ziegelbauten komplex und konvex (wie der Bauch vom Rex) in sexualisiertem Kontakt. Die Kunsthochschule ISA ist ein Projekt aus der Anfangszeit der Revolution, als die Träume und ihre Architektur noch extravagabundierend sein durften. (Später lese ich: nicht fertiggestellt wegen Finanznot und Kritik am ästhetischen Individualismus, trotzdem eingeweiht und genutzt bis heute. Architekt Ricardo Porro emigrierte 1966 nach Paris.)
Am Platz der Revolution sind wir im Zentrum spätestens. Hier hat Fidel seine 5 Stunden Reden gehalten, die anfangs, so erzählt mir die Fahrerin, die seit 1978 in Havanna lebt, Straßenfeger waren (ihre Metapher). Wer nicht zum Platz konnte, hat sie im Fernsehn geschaut aus lebendigem Interesse, wie es weitergehen könne mit dem Volk, dem Land und dem Zusammenleben. Die Fahrerin ist in der DDR geboren, hat in Minsk studiert, dort ihren kubanischen Mann kennengelernt, und ist nun seit 36 Jahren hier, Expertin für vergleichende Sozialismusforschung. Die 80er Jahre waren die schönsten, freiesten, die 70er dogmatisch-sowjetisch, die 90er elend nach dem Ende des Ostblocks. Und jetzt? Noch offen (wie immer). Die Fahrt ist zu kurz, um alles zu erfahren. Wir sind am Hotel Presidente an der Avenida de los Presidentes. In Sichtweite das Meer, in 150 Kilometern Key West. Jetzt schon: schwerglaubliches Land.
(Freunde hatten mich vorab informiert, dass Kuba heute der späten DDR ähneln würde, aber, compañeros, ihr habt den Farbfilm vergessen und die Körper mindestens, und die Luftfeuchtigkeit ist noch nicht globalisiert, das Lachen und die Lichter nicht und …:) Pointe der Weltgeschichte, dass diese schwingenden Gestalten im Lenin-Park (eine Frauen-Salsa-Combo mit einer bombastischen Blechbläser-Version vom Mädchen aus Guantanamo) den real existierenden Sozialismus auf Erden verkörpern.
Klimatische Bedingungen politischer Romantik.
In der Lobby eine sehr alte, sehr schöne, kostbar wirkende Uhr, die mächtig über der Rezeption prunkt. Aber: stehengeblieben. Vor 4 Stunden oder einige Jahre früher. Den Witz haben sie von Anna Viebrock geklaut.
ZWEI
Am ersten Morgen gehe ich joggen. Zuerst nehme ich den begrünten Mittelstreifen der Avenida de los Presidentes. Los geht es direkt am Kai bei dem Reiterdenkmal von Calixto García Iñiguez, Generalmayor in den Unabhängigkeitskriegen gegen die spanischen Kolonialisten. Die Stellung der Vorderhufe gibt Auskunft über die Todesart des Reiters. Sind beide Hufe in der Luft, ist der Reiter im Kampf gestorben. Bei einer Hufe ist die Todesursache eine Verletzung, die er sich im Kampf zugezogen hat. Sind beide Hufe auf der Erde, starb der Reiter eines natürlichen Todes. Und stände sicher nicht hier am Beginn der Präsidentenallee. (Huf-Code-Theorie falsch.)
AÑO 56 DE LA REVOLUCION erinnert ein riesiger Banner an einem Staatsgebäude. So sieht es hier auch aus, hat mir gestern mein erster kubanischer Gesprächspartner gesagt, als sei die Stadt 1959 stehengeblieben, und nur das Wetter habe an den Gebäuden seitdem noch gearbeitet. Und dass die Einwohner nichts mehr hören wollen vom morbiden Charme ihrer Stadt, weil ihnen die Decke unmetaphorisch auf den Kopf fällt. Viele Häuser werden gestützt von notdürftigen Installationen, die ich bisher nur aus der Bildenden Kunst kannte.
Aber ich weiß mich nicht zu bremsen, alles ist ungesehen, und ich laufe und laufe mit offenem Mund. Viele Herrenhäuser sind bonbonrot, mintgrün oder stechend gelb und strahlen eine aggressive Heiterkeit aus. Wenig Autos, aber wenn jedes einzelne Krach und Gestank für 3 macht, ist auch hier die größte Straße nicht die beste Joggingstrecke. Kurz vor Salvador Allende kehre ich um, laufe zurück zum Meer und komme an ein Stadion, das öffentlich nutzbar ist, weil die Mauern längst eingestürzt sind. Mit Blick auf das karibische Meer mache ich Klimmzüge auf einem rostenden Trimm-Dich-Pfad und werde von kubanischen Kollegen angefeuert, die dieses Programm den Muskeln nach schon einige Jahre länger machen. Und sie heben mich auf, als ich stürze wie ein Kind, weil ich mich übernommen habe, mit ihren starken Armen.
Im Presidente drehe ich die Dusche an, tröpfchenweise erinnert mich der Brausekopf an das Wort Wasserdruck. Und dass der wahrscheinlich auch in der Europäischen Gemeinschaft genormt und geregelt ist und dieses Rinn- und Trübsal an meinem Körper der Verordnung zuwiderläuft. Aber nass werde ich dann doch und sauber mit Verzögerung auch. Wofür Wasserdruck, warum Karrieren? Wenns den Rest der Welt nicht gäbe, hätte tropischer Sozialismus funktionieren können. (Bisschen früh für große Thesen. Aber nach dem Duschen bin ich immer meinungsfroh.)
Aus meinem Fenster sehe ich auf eine Grundschule. Und wieder, Kitsch des ersten Blicks wahrscheinlich: Schuluniformen, Staatsfernsehen, die Abwesenheit von elektronischen Individualisierungsmaschinen, Gleiche Armut für alle! machen: eine andere Gemeinschaft. Die Klasse spielt kollektiv ein Tanzspiel und singt. Von hier oben ist kein stolzer Einzelgänger zu sehen, keine Grüppchenbildung, dafür ist der Schulhof auch zu klein. Später stehn die Jungs am Gitter und pfeifen den erwachsenen Frauen hinterher, machen Sprüche und Luftküsse und reißen jubelnd die Arme hoch, wenn eine ihnen winkt. Auch davon ist mir schon erzählt worden: Sex sei präsenter. Bestätigt.
Abends führt mich mein kubanischer Begleiter, der Germanistik-Student B. (Deutsch hat er zu lernen begonnen wegen Bildern der WM 2006) in die Fabrica des Artes. Unten gibt’s aggressiven Reggaeton mit einem schwarzen, weißhaarigen Posaunisten, eine Halle daneben treibt Der Exorzist auf einer gekalkten Mauer die Gespenster aus, und in der ersten Etage gibt es junge kubanische Kunst. Eine Self-Service genannte Kinderzeichnung zeigt ein Regal mit Flaschen, die mit abgenutzten Etiketten versehen sind: Bob Marley, Il Duce, Hitler, James Dean und Che Guevara. Collagen imaginieren die Altstadt Havannas mit westlichen Werbeplakaten anstelle der Revolutionsbotschaften. Stilisierte Fotos zeigen nackte, alte Mulattinnen auf kaputten Betten in ihren noch kaputteren Behausungen. Raul Castro kümmert sich nur noch um die Wirtschaft, sagt mein Begleiter, die Kunst kann machen, was sie will. Nur was ins Fernsehen kommt, bestimmt noch die Zensur. Sind diese seine Sätze jetzt auch schon zensiert, selbstzensiert, unlesbar? Kann ich hier irgendwas verstehen?
B. ist 23, er baut sich grade ein kleines Geschäft mit Oldtimerfahrten für Touristen auf, da ist er mit seinen Fremdsprachenkenntnissen schneller als die anderen. Zu groß darf das Geschäft nicht werden, dann schauen die Behörden drauf. Und ungewiss bleibt, wie und wann und warum sich die Verordnungen ändern, die möglicherweise seine Geschäftsbedingungen wieder einmal grundlegend umstellen. Es ändert sich alles, sagt er, bald, und wirkt ungeduldig erwartungsvoll. Für die jungen Kubaner in der Fabrica (weiß, gebildet, Auslandskontakte) scheint es zu heißen: Gute Startplätze sichern. Gleich geht’s los! B.s einzige Sorge: dass die Yankees sich das Land wieder holen. Denn das verzeiht er den US-Amerikaner nicht, dass sie Kuba zu ihrem Bordell und zum Ort für ihre schmutzigen Geschäfte gemacht haben. Bei jeder Fahrt wird mir ein Hotel gezeigt, das von Mafiageldern gebaut worden sein soll und Verbrecher-Treffpunkt war, Lucky Lucianos Meerblick.
Und dafür achten viele Fidel, dass er leibhaftig gekämpft hat gegen diese Demütigung. Im Revolutions-Museum steht das Motor-Boot „Granma“, mit dem er und sein Bruder mit Che von Mexico aus den Angriff begonnen haben. Dieser Einsatz prägt weiterhin das Bild der Führung, sie waren keine Bürokraten, ihr Sozialismus ist erkämpft, nicht von Moskau verordnet. Wenn nach den Brüdern Castro jemand kommt, der sein Leben nicht riskiert hat für Kuba, dann endet die Gefolgschaft, meint C., ein Maler mit Ausstellungen in Europa. Wie dieses Ende aussieht, davon handelt bald jedes Gespräch. Ob die Exil-Kubaner den Neuaufbau finanzieren oder eine lateinamerikanische Union helfen könnte oder der chinesische Weg. Aus eigener Kraft werden wir es nicht schaffen, sagt D., der weise, grauhaarige, düstere Übersetzer, wir sind dritte Welt.
Wir sind in der 3. Welt, sitzen im Restaurant mit Blick aufs Meer, ich hatte Guavas mit Frischkäse und Kochbananen mit Thunfisch, und gleich halte ich meinen Vortrag zu Tendenzen des Gegenwartstheaters in Deutschland in der Stiftung Ludwig, dem Pralinenmeister aus Aachen. Ich bin beruflich hier, ist meine Entschuldigung, um mich nicht fühlen zu müssen wie ein Tourist.
Wikipedia schreibt: Das Embargo wird von den Vereinten Nationen nicht gebilligt. Die UN-Generalversammlung verabschiedet seit 1992 jährlich eine Resolution, welche die Aufhebung aller Sanktionen gegen Kuba fordert – zuletzt im Oktober 2011: 186 Stimmen dafür, zwei Gegenstimmen (USA und Israel), drei Enthaltungen (die Marshall-Inseln, Mikronesien, und Palau).
Warum Mikronesien? Wieso, ihr Marshall-Inseln? Weshalb, Palau?
Ein Kubaner trägt ein T-Shirt mit der Flagge US-Amerikas, ein Franzose eines von Che und ein Deutscher Joy Division – Unknown Pleasures. Keine Pointe. Nur Erklärungsnot.