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Einmal war ich in Frankfurt bei einer Lesung von Bodo Kirchhoff. Es war in einem Gebäude, aus dem meine Erinnerung ein eindrucksvolles gläsernes Gebilde gemacht hat, obwohl ich sicher bin, dass es in Wahrheit nicht nur aus Glas bestand. Möglich, dass es eine Art Bank war. Kirchhoff wusste ganz viel über die Liebe. Er sagte, sie finde niemals da statt, wo man es vermute. Hinterher hielt ich sein Buch über die Liebe in der Hand. Es war sehr dick. Ich glaube mich zu erinnern, dass er erwähnte, seine Tochter säße im Publikum. Oder irgendwie so.
2
Martin Luther sagte in einer seiner Tischreden:
»Das erste Jahr der Ehe macht einem seltsame Gedanken. Denn wenn er am Tische sitzt, denkt er: Vorher war ich allein, nun bin ich zu zweit. Wenn er im Bette erwacht, sieht er ein Paar Zöpfe neben sich liegen, welche er früher nicht sah.«
3
Wenn man QuickType, die Ergänzungsfunktion von iOS, entsprechend befragt, wird folgendes festgehalten:
Liebe kommt aus der Schweiz, Liebe kommt aus den beiden anderen Ländern, Liebe kommt aus dem Fenster, Liebe kommt aus den Augen der anderen Straßenseite, Liebe kommt aus den eigenen vier Wochen, Liebe kommt aus der Zeit, Liebe kommt aus der Hand in den Mund, Liebe kommt aus dem Weg, Liebe kommt von irgendwo in der Stadt, Liebe kommt von den beiden letzten Sätzen, Liebe kommt vom Tisch, Liebe kommt vom ersten Moment an der Seite des Mondes.
4
Anfang des 20. Jahrhunderts verliebten sich die berühmte »Bearded Lady« Jean Carroll und der Kontorsionist John Carson ineinander. Jean wollte sofort heiraten, aber John hatte ein Problem mit dem prächtigen Vollbart, der das Gesicht seiner Frau bedeckte. Also schlug er Jean vor, sich zu rasieren und dann den ganzen Körper tätowieren zu lassen. Sie tat es, wurde die berühmte »Tattooed Lady« und die beiden blieben zusammen bis zu Johns Tod im Jahr 1951.
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An anderer Stelle beklagte Martin Luther, dass seine Frau Katharina ihn eines Tages, als er »ernstlich studierte und sie spann«, rundheraus fragte: »Herr Doktor, ist der Hochmeister des Deutschen Ritterordens des Markgrafen Albrecht Bruder?« Luther ärgerte sich über die gedankenlose Geborgenheitsstimmung, in die seine Frau in seiner Gegenwart immer zu geraten pflegte.
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Bei meiner Suche nach Gedichten in Esperanto, an denen man die Sprache ein wenig üben kann, stieß ich auf István Ertls Blog. Ertl ist Übersetzer und Herausgeber vieler Publikationen in Esperanto. Ohne Angabe eines Verfassers wird hier ein »Poemo aŭdita en radio« zitiert:
Mi volus ke vi mortu antaŭ mi.
Nur iomete antaŭ mi.
Por ke vi ne devu reveni sola
al nia hejmo.
Ich möchte, dass du vor mir stirbst.
Nur ein kleines bisschen vor mir.
Damit du nicht allein zurückkehren musst
in unser Heim.
Das erinnerte mich an einen Mann, der mir erzählte, er habe nach dem Tod seiner Frau seinen Mund nach dem Zähneputzen nicht mehr direkt am Wasserhahn ausspülen können. Er musste jetzt einen Becher verwenden. Denn immer, wenn er sich zur Wassersäule herunterbeugte, roch er die Handcreme seiner Frau.
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Schon gegen sein Lebensende wurde Martin Luther von einem der Männer, die seine Tischreden für die Nachwelt festhielten, über das Problem des Todes ausgefragt. »Martin Luther gab zur Antwort: Da, fragt mein Weib danach, ob sie etwas gefühlt hat; denn sie war wirklich tot (längere Zeit bewusstlos). – Sie antwortete: Gar nichts, Herr Doktor.«
8
Félix Fénéon schrieb recht wenig über die Liebe. Seine Fundstücke darüber lesen sich auch immer recht ähnlich:
Die Liebe. In Mirecourt schoss der Weber Colas Mlle Fleckenger eine Kugel in den Kopf, um anschließend gegen sich selbst mit derselben Unerbittlichkeit zu handeln.
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»Is Liebe net ein Irrtum?«, stellte der Philosoph Hermes Phettberg am 9. März 1996 in den Raum. »I maan, gut, es is gut gegen Einsamkeit und so, aber… is die Idee, dass zwa Leit in ana Wohnung leben überhaupt… Gut, a Schloss, links a Flügel, rechts a Flügel, in da Mittn Putzpersonal…«
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Im Jahr 1990 starb die Ehefrau des englischen Schriftstellers John Fowles an Lungenkrebs. Als sie schon nicht mehr aufstehen und sich auch kaum bewegen konnte, bat sie ihn, ihr Zigarettenrauch ins Gesicht zu blasen, was er nach einiger Selbstüberwindung auch tat. »Ich möchte lieber gleich sterben, als nie wieder rauchen«, sagte seine Frau. Am Tag nach ihrem Tod blieb Fowles’ Uhr stehen. Er hält in seinem Tagebuch fest: »Sie brauchte eine neue Batterie. Ein schöner Vorfrühlingstag. Ich ging mit Charles, der bei mir war, zu Richards’ Uhrengeschäft, um eine neue Batterie zu kaufen.« Noch Jahre danach dachte Fowles jedes Mal, wenn er abends das Telefon läuten hörte, dass es vielleicht seine Frau sein könnte: »I thought that finally she had found a way to get through. I thought that every time.«